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Spanien ist kurz vor dem Kollaps

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik
Der Eislaufplatz in Madrid wurde kurzfristig zur Leichenhalle umfunktioniert.
© reuters/Medina

Die Betreuung kracht: 12 Prozent der Corona-Infizierten sind Ärzte und Krankenpfleger.


Trotz strikter Ausgangssperre verbreitet sich das Covid-19-Virus dramatisch schnell in Spanien. Davon zeugen die neuesten Zahlen Dienstagmittag: 514 neue Tote in nur 24 Stunden. Das macht nun 2700 Tote bei 40.000 Infizierten.

Nach Italien ist Spanien das am schlimmsten von der Epidemie betroffene Land Europas. Die Hauptstadt Madrid verzeichnet dabei fast 60 Prozent aller Corona-Opfer. Krematorien und Bestattungsinstitute sind vollkommen überlastet, Leichenhallen überfüllt. So sah sich die Madrider Regionalregierung am Dienstag gezwungen, eine 1800 Quadratmeter große Eissporthalle mit potenten Kühlsystemen in eine riesige Leichenhalle für die an Covid-19 Verstorbenen umzuwandeln. Den Transport der Leichen übernimmt die militärische Notfalleinheit UME, da die Bestattungsunternehmen kaum über Schutzkleidung verfügen.

Die Überlastung der Bestattungsunternehmen und die hohe Zahl infizierter Pfleger führten bereits zu dramatischen Szenen in Seniorenheimen. Bei der Säuberung von Altenheimen im Zuge der Coronavirus-Bekämpfung haben Soldaten in mehreren Residenzen verstorbene Menschen in ihren Betten entdeckt. Die Behörden gehen davon aus, dass die meisten am Covid-19-Virus verstorben seien. Ihr Tod wurde offenbar länger nicht bemerkt. Unter welchen Umständen die Menschen verstarben und warum sie so lange unentdeckt in ihren Zimmern blieben, wird nun die Staatsanwaltschaft ermitteln.

Tatsächlich fehlt es an allen Ecken an Betreuung. Die Ansteckung verbreitet sich rasant unter Ärzten und Krankenhauspersonal. "Mittlerweile sind 12 Prozent der Infizierten Ärzte, Sanitäter und Krankenpfleger", gibt Seuchennotfall-Einsatzleiter Fernando Simón zu. Insgesamt handelt es sich um über 4000 Personen aus dem Medizin-Sektor. Schuld daran sind vor allem fehlende Leitlinien und Schutzkleidung. Medien berichten von Krankenhäusern, in denen sich das Personal sogar aus Plastikmüllsäcken Schutzkittel bastelt.

Lungenarzt: "Wir verlieren immer mehr Kollegen"

"Wir verlieren immer mehr Kollegen, die dringend im Einsatz gebraucht werden", sagt Jorge Cabello der "Wiener Zeitung". Der Lungenfacharzt am Madrider Hospital Clínico San Carlos ist schon seit Tagen im Dauereinsatz. "Wir kommen an unsere Grenzen. Nicht nur wegen der hohen Patientenzahl. Der physische und psychologische Druck ist enorm. Die Angst vor Ansteckung groß", so Cabello.

Die Patienten liegen unterdessen auf Matratzen im Flur. Das Gesundheitsministerium verpflichtete im Rahmen des Ausnahmezustands bereits Militärkrankenhäuser und Privatkliniken zur Aufnahme von Infizierten. Auf dem Madrider IFEMA-Messegelände errichtete die Regierung mit Hilfe der Armee auf 35.000 Quadratmetern bereits ein provisorisches Krankenhaus mit 5500 Betten zur Behandlung von Corona-Kranken. Auch Hotels wurden bereits in provisorische Krankenhäuser umgewandelt.

Spanien mobilisiert immer mehr Ärzte im Ruhestand und Medizinstudenten im Kampf gegen die Epidemie. Dennoch steht das Gesundheitssystem kurz vor dem Kollaps. Eine Experten-Gruppe von Epidemiologen und Medizinern rechtet damit, dass das Gesundheitssystem schon am Mittwoch oder Donnerstag komplett zusammenbrechen könnte und forderte von der Regierung die "totale Isolierung der Menschen".

Vor eineinhalb Wochen rief Spanien bereits den Notstand aus und verhängte eine allgemeine Ausgangssperre. Kitas, Schulen, Universitäten, Restaurants, Bars und Geschäfte außer Supermärkte, Tankstellen und Apotheken sind geschlossen. Bürger dürfen das Haus nur noch verlassen, um zur Arbeit, zur Apotheke und zum Arzt zu gehen oder um lebensnotwendige Besorgungen zu machen. Die Experten empfehlen aber dringend, die Bewegungsfreiheit noch stärker einzuschränken, um das System zu entlasten.

Auch mehrere Regionen wie Katalonien, Andalusien und Kastilien-León wollen die Ausgangsregeln verschärfen und kritisieren die bisherigen Maßnahmen der Zentralregierung. Die von allen Parteien vereinbarte politische Einheit im Kampf gegen das Coronavirus beginnt in Spanien zu bröckeln. Kataloniens separatistische Regionalregierung hat eher Probleme damit, dass Spanien die Kontrolle über Kataloniens Regionalpolizei und Gesundheitszentren übernommen hat. Die Angst von Kataloniens Regierungschef Quim Torra, das Virus könne seine Unabhängigkeitsbewegung stoppen, scheint groß zu sein.