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Die Angst vor einem einsamen Tod

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

In Spanien sind fast 1500 Menschen in Alten- und Pflegeheimen gestorben - ein Fünftel aller Corona-Opfer.


Er wollte nicht sterben. Vor allem aber wollte er nicht so sterben - einsam und verlassen. Also floh er. Heimlich schlich sich Rafael Garcia, 89 Jahre alt, am Nachmittag aus dem Madrider Altenheim Loreto. Die Pfleger merkten erst beim Abendessen, dass Rafael fehlte. Da war er schon längst bei seiner Tochter.

"Die nervösen Anrufe unserer Familien, die Nachrichten. Wir bekommen doch auch mit, was passiert", sagt der pensionierte Jurist. Nirgendwo in Spanien wütet das Coronavirus so tödlich wie in den Altenheimen. Seit Ausbruch der Epidemie sind bereits 1500 Menschen in Alten- und Pflegeheimen an Covid-19 gestorben, fast ein Fünftel aller Corona-Opfer.

So fühlte sich Rafael auch in seinem Heim nicht mehr sicher. Hortensia, Conchita, Leopoldo. Viele seiner Freunde im Heim waren bereits Tage zuvor gestorben. Einsam in ihren Zimmern. Wegen der Epidemie sind Spaniens Altenheime längst abgeschottet. Die Senioren verbringen die meiste Zeit isoliert auf ihren Zimmern. Zu groß ist die Ansteckungsgefahr für diese Risikogruppe. "So wollte ich nicht sterben. Ich wollte gar nicht sterben, und deshalb bin ich weggegangen", erklärt Rafael der Tageszeitung "El Pais".

Altenheime zu spät isoliert

"Die Menschen sind alt, gebrechlich, oftmals krank und leben auf engstem Raum zusammen. Natürlich ist das Virus hier besonders tödlich", sagt Juan Jose Garcia Ferrer, Generalsekretär des spanischen Altenheim-Verbandes Lares. Auch Österreich fürchtet eine Ausbreitung des Coronavirus in Altenheimen. Zu Recht, wie das Beispiel Spanien zeigt.

"Die Regierung hat viel zu spät angefangen, Heime zu isolieren und das Pflegepersonal mit Schutzkleidung, Schnelltests und Masken auszurüsten", klagt der Altenheim-Verbandssprecher gegenüber der "Wiener Zeitung". In vielen Heimen habe sich bereits die Hälfte des Pflegepersonals infiziert und könne nicht mehr arbeiten. "Wir befinden uns in einer absoluten Notlage", versichert Garcia Ferrer.

Wie dramatisch die Folgen der verspäteten Schutzmaßnahmen waren, davon konnten sich vergangene Woche die Soldaten der spanischen Notfalleinheit UME überzeugen. Beim Desinfizieren von Altenheimen fanden sie gleich in mehreren Residenzen verstorbene Menschen in ihren Betten. Ihr Tod wurde offenbar länger nicht bemerkt.

Der Schock war groß. In sozialen Medien wurden die Altenpfleger verteufelt. Verbandschefs Garcia Ferrer wehrt sich: "Die Menschen sterben hier nicht einsam und verwahrlost in ihren Zimmern. Oftmals dauert es derzeit aber bis zu 48 Stunden, bis Verstorbene abgeholt werden."

Tatsächlich kommt es zu erheblichen Verzögerungen beim Abtransport von Leichen, geben die Behörden zu. Vor allem in der spanischen Hauptstadt Madrid, wo mit mehr als 3600 Toten fast die Hälfte aller Corona-Opfer beklagt werden. Bestattungsinstitute und Krematorien sind vollkommen überfordert. Zudem weigert sich das Bestattungspersonal, ohne die notwendige Schutzkleidung Corona-Leichen abzuholen.

So wurde bereits vergangene Woche der Madrider Eissportpalast in Spaniens größte Leichenhalle verwandelt. Am Dienstag ging auch ein Justizgebäude in der Nähe von Real Madrids Trainingsgelände mit einer Kapazität für 230 Särge als provisorische Leichenhalle in Betrieb. Der Transport der Toten wird von Soldaten mit ABC-Schutzkleidung übernommen.

Ministerpräsident Pedro Sanchez stellte landesweit alle Altenheime - auch die privaten - unter staatliche Kontrolle. Das Problem: Aufgrund fehlenden Schutzmaterials ist die Infizierten-Rate unter Spaniens Gesundheits- und Pflegepersonal selbst im Vergleich zu Italien erschreckend hoch. Mehr als 12.300 Ärzte und Pfleger haben sich bereits mit dem Virus angesteckt, zwölf Prozent sämtlicher Corona-Fälle in Spanien. Personal, welches nun im Kampf gegen die Corona-Epidemie fehlt.

849 Tote in nur 24 Stunden

Unterdessen wird die Situation in Spanien immer dramatischer. Von Montag auf Dienstag kamen innerhalb von 24 Stunden 849 neue Todesopfer hinzu. Mit mehr als 85.000 Infizierten und rund 7300 Toten ist Spanien nach Italien und den USA das am schlimmsten von der Epidemie betroffene Land der Welt.

So verschärfte die spanische Regierung seit Dienstag nochmals die ohnehin schon strikten Ausgangssperren. Für die kommenden zwei Wochen dürfen nur noch Personen aus "strukturrelevanten" Sektoren zur Arbeit. Die anderen dürfen die Wohnung nur verlassen, um zum Arzt zu gehen oder Nahrungsmittel oder Medikamente zu kaufen. Man habe das Land in den "Winterschlaf" versetzt, erklärte Regierungssprecherin Maria Jesus Montero.