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Schwedens Sonderweg mit vielen Toten

Von Alexander Dworzak

Politik

Bei den Corona-Maßnahmen setzt Schweden weiter auf freiwilligen Verzicht statt Verboten. Doch mehr als 1200 Personen sind bereits an den Folgen von Covid-19 gestorben.


Den Frühling im Gastgarten genießen und gemeinsam mit Freunden anstoßen. Wovon viele unfreiwillige Stubenhocker in Österreich und andernorts derzeit träumen, ist in Schweden weiterhin Realität. Im skandinavischen Land bleiben auch Kinderspielplätze geöffnet, ebenso Kinos, Fitnessstudios, Kindergärten und Klassen bis zur neunten Schulstufe. "Vienna is different", warb die Stadt Wien einst. Heute gilt bei den Corona-Maßnahmen: "Sweden is different."

Statt Ausgangssperren zu verhängen, setzen Behörden und Politik darauf, dass die Bürger freiwillig Distanz halten. Lediglich zwei Verbote wurden bisher ausgesprochen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, berichtete die ARD: Sämtliche Menschenansammlungen und Veranstaltungen dürften nicht mehr als 49 Personen umfassen - der Grenzwert wurde von zuvor 499 Personen heruntergesetzt. Und seit Anfang April gelte ein Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen.

Zu dieser Zeit mehrten sich die schlechten Nachrichten. Vor allem die Zahl der an Covid-19 Verstorbenen bereitete Sorgen, von Tag zu Tag stieg der Prozentsatz zweistellig. "Wir werden mit Tausenden Toten rechnen müssen", erklärte Ministerpräsident Stefan Löfven. Der Pfad, den die nationale Gesundheitsbehörde vorgeschlagen hatte und dem Löfven folgte, wirkte wie ein Irrweg.

Mittlerweile sind die Zahlen nicht mehr so dramatisch. Seit Anfang dieser Woche beträgt der Zuwachs unter den Verstorbenen pro Tag weniger als fünf Prozent. Wenig erfreulich bleiben jedoch die absoluten Zahlen: 1203 Menschen erlagen bis Mittwoch Covid-19. Das sind mehr als dreimal so viele wie in Österreich mit 393 Personen - bei eineinhalb Millionen mehr Einwohnern in Schweden.

Hälfte der Bürger im April infiziert?

Flacher wurde die Kurve auch bei den als infiziert gemeldeten Personen. Mit 11.900 Fällen verzeichnet das nordeuropäische Land 2400 Fälle weniger als Österreich. Tom Britton, Mathematik-Professor an der Universität Stockholm, rechnet jedoch damit, dass zu Monatsbeginn bereits eine Million Schweden infiziert waren. Bis Ende April könnte es bereits die Hälfte der 10,2 Millionen Bürger sein, erklärte Britton in "Sveriges Radio". Damit wäre Schweden nahe an der sogenannten Herdenimmunität von rund 60 Prozent der Einwohner, ab der das Virus auch ohne Impfstoff als beherrschbar gilt. Inwiefern Brittons Modellrechnung die Tatsachen wiedergibt, wird sich wie so vieles zum Coronavirus erst zeigen.

Zu geringe Testkapazitäten

Mit Sicherheit spiegelt die schwedische Statistik nicht die Zahl der tatsächlich Infizierten wider. Denn dafür war die Testkapazität in den vergangenen Wochen viel zu gering. Die Gesundheitsbehörde weist 54.700 Testungen aus, allerdings erfasst sie nur Daten bis zum 5. April. In Österreich wurden bis 14. April mehr als 156.000 Tests durchgeführt. Selbst an Schwedens renommiertem Karolinska-Institut, einer medizinischen Universität, waren bis zur vergangenen Woche nur 700 Tests pro Tag möglich. Dank Anschaffung neuer Geräte wird die Kapazität mehr als versiebenfacht.

Nun sollen die Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie die Patienten in der Metropolregion Stockholm flächendeckend getestet werden. An der Universitätsklinik Linköping wurde vor kurzem die Hälfte des Personals positiv auf Covid-19 getestet. Einige der Betroffenen haben keinerlei Symptome gezeigt.

Das sind schlechte Nachrichten für die schwedischen Gesundheitsstrategen, bauen sie doch darauf, dass Personen nur daheim bleiben sollen, wenn sie sich krank fühlen. Die Isolation gilt auch für Menschen mit Vorerkrankungen und Über-70-Jährige.

Viele Corona-Fälle in Seniorenheimen

Betagte in Altersheimen könnten überhaupt einem sehr hohen Risiko ausgesetzt sein. In einem Drittel der Seniorenheime Stockholms gebe es Corona-Fälle, so der Schwedische Rundfunk. Der Leiter des Pflegedienstes Familjeläkarna, Stefan Amér, berichtete bereits Anfang April, in von ihm betreuten Heimen in der Region Stockholm habe es 250 Corona-Infizierte gegeben, 50 von ihnen seien bereits verstorben. Doch nicht einmal das Besuchsverbot in allen Senioren- und Pflegeheimen ist fix, deren Geschäftsführer dürfen Ausnahmen machen.

Der sozialdemokratische Premier Löfven hält derweil am Kurs der Gesundheitsbehörde fest. Und auch die größte konservative Oppositionspartei zieht mit.