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"Europa ist für die USA nicht mehr wichtig"

Von Martyna Czarnowska

Politik

Der geplante Abzug von US-Soldaten aus Deutschland löst dort Unmut aus. Doch Washington verfolgt eigene Interessen.


Die Gerüchte verdichteten sich über die vergangenen Tage, mittlerweile ist es fix: Die USA wollen fast ein Viertel ihrer in Deutschland stationierten Soldaten abziehen. Präsident Donald Trump bestätigte die Pläne - und warf Berlin erneut vor, zu wenig in die Verteidigung zu investieren. Washington pocht immer wieder darauf, dass andere Länder ihre Nato-Beiträge erhöhen. Solange Deutschland nicht mehr ausgeben werde, würden eben Truppen abgezogen, befand Trump. Die derzeit dort stationierten rund 34.500 US-Soldaten würden um 9500 Mann reduziert.

Die Basen in Deutschland wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der wichtigsten militärischen Drehkreuze der US-Streitkräfte. Diese beschäftigen auch noch tausende Zivilisten. Für die umliegenden Orte ist das durchaus auch ein wirtschaftlicher Faktor.

Die Pläne in Washington sorgten in Berlin für Unmut - auch wenn die Regierung noch keine genauen Angaben darüber hat, "wann wie wo was umgesetzt werden soll", wie Außenminister Heiko Maas am Dienstag konstatierte. Sein Parteikollege, SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans, kritisierte das Vorhaben und das Vorgehen des US-Präsidenten scharf. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Johann Wadephul stellte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur fest: "Jede Reduktion militärischer Präsenz verschärft die Probleme, statt sie zu lösen."

Russland abschrecken

Das wird von einem Nachbarn Deutschlands ähnlich gesehen. Polen setzt sich immer wieder für eine starke Truppenpräsenz an der östlichen EU- und Nato-Grenze ein, nicht zuletzt als Abschreckung gegenüber Russland. Premier Mateusz Morawiecki brachte zunächst gar seine Hoffnung zum Ausdruck, dass ein Teil der abgezogenen US-Soldaten in seinem Land stationiert werde, wo eine Vergrößerung des Kontingents schon seit einiger Zeit im Gespräch ist. Doch dann relativierte er: Die Aufstockung in Polen sollte nicht auf Kosten Deutschlands gehen.

In beiden Ländern hat die Anwesenheit der US-Armee auf europäischem Boden auch symbolische Bedeutung - als Zeichen des transatlantischen Bündnisses. Für manche Experten ist dies allerdings auch ein Anzeichen für ein Denken, das in Zeiten des Kalten Krieges verankert ist. Heinz Gärtner etwa sieht darin ein beinahe "nostalgisches Festhalten an der Vorstellung, ohne die USA ungeschützt zu sein". Dabei hätten die Europäer selbst schon Ideen für Alternativen entwickelt, meint der Politologe, der unter anderem am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) forscht.

Die Amerikaner hingegen hingen dieser Nostalgie nicht nach, sagt Gärtner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Vielmehr verfolge Washington seine strategischen Interessen. Und die liegen nun einmal nicht mehr in Europa. Stattdessen sei etwa China in den Fokus gerückt.

"Keine Bestrafungsaktion"

"Europa ist für die USA nicht mehr so wichtig, daher wird Russland auch nicht mehr als so gefährlich für Europa angesehen wie dieses selbst es sieht", erklärt der Politikwissenschafter. Und damit seien auch die Stützpunkte in Deutschland für die US-Streitkräfte nicht mehr so erheblich, selbst wenn sie als Drehkreuze für Truppen und Nachschub für den Nahen Osten und Afrika dienen.

Diese Verschiebung der Interessen ist für Gärtner ausschlaggebender für die Entscheidung zur Reduktion der Soldatenzahl als die Unzufriedenheit über den deutschen Verteidigungsetat, dessen Erhöhung Washington ständig einfordert. Der Truppenabzug sei daher keineswegs eine reine Bestrafungsaktion - auch wenn Trumps Aussagen und die Kritiker in Deutschland darauf hindeuten.

Dennoch ist das Verhältnis zwischen der Regierung Trump und jener von Angela Merkel angespannt. Zuletzt hatte die Kanzlerin das Vorhaben des Präsidenten durchkreuzt, einen G7-Gipfel in Washington abzuhalten, mit dem Hinweis auf die Corona-Pandemie.

Die Qualität der transatlantischen Beziehungen aber an der Anzahl der in Europa stationierten US-Soldaten zu messen, findet Politologe Gärtner nicht unbedingt zeitgemäß. Stattdessen könnte die Verbundenheit durch kulturellen oder wissenschaftlichen Austausch demonstriert werden.