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Aleksandar Vucic: Der Machtpragmatiker

Von Gerhard Lechner

Politik

Bei den Parlamentswahlen in Serbien steht die Regierungskoalition von Präsident Vucic als Sieger so gut wie fest. Der 50-Jährige entwickelt sich immer mehr zum Alleinherrscher Serbiens - die demokratische Fassade bleibt dabei gewahrt.


Aleksandar Vucic ist ein Mann, an dem man in Serbien schon physisch nicht vorbeikommt. Der fast zwei Meter große Hüne prägt die Politik in dem Balkanstaat seit Jahren. 2012 stellvertretender Ministerpräsident, übernahm der Chef der Serbischen Fortschrittspartei SNS zwei Jahre später den Posten des Premierministers und baute danach konsequent seine Macht aus. Seit 2017 amtiert Vucic als Präsident Serbiens - ein Posten, der nach der geschriebenen Verfassung bis heute nicht allzu bedeutsam ist. Doch Vucic, der seine rechtsgerichtete SNS nach wie vor kontrolliert, machte aus dem zuvor eher repräsentativen Präsidentenamt das Machtzentrum des Landes.

Das hat man auch jetzt wieder gesehen, vor den serbischen Parlamentswahlen, die am Sonntag stattfinden. Es war Vucic, also der theoretisch zur Neutralität verpflichtete Präsident, der den Wahlkampf seiner SNS praktisch im Alleingang führte. Der Mann aus Belgrad nutzte die Möglichkeiten, die ihm die Corona-Krise bot, um als allgegenwärtiger Krisenmanager aufzutreten: Schutzmasken, Beatmungsgeräte, 100 Euro Corona-Hilfe für jeden Erwachsenen, um all das schien sich Vucic persönlich zu kümmern - jedenfalls wenn man der Darstellung der wichtigsten serbischen Medien glaubt, die präsidentenfreundlich berichten.

Zweidrittelmehrheit ist in Griffweite

Und der Einsatz scheint sich zu lohnen: Vucics SNS und ihr Koalitionspartner, die Sozialistische Partei von Außenminister Ivica Dacic, können erneut mit einer klaren Mehrheit im Parlament rechnen. Sogar eine Zweidrittelmehrheit könnte sich für die Regierungskoalition ausgehen. Die SNS kommt in Umfragen auf fast 60 Prozent der Stimmen, die Sozialisten und ihre Partner auf rund 12 Prozent - ein bequemer Polster zum Regieren. Dass im Land, wie etwa im Vorjahr, immer wieder teils heftige Proteste gegen den Alleinherrscher aufflammen, ändert daran nur wenig.

Allerdings ist Vucic’ Triumph mit mehr als nur einem Schönheitsfehler behaftet. Serbiens Präsident wird seit Jahren auch international dafür kritisiert, dass er das Land in Richtung Autoritarismus umbaue. "Tatsächlich ist es so, dass Vucic und seine Partei eigentlich alle Institutionen im Land beherrschen", sagt Vedran Dzihic vom Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) der "Wiener Zeitung". Auch die Medien würden von der SNS kontrolliert. "Es gibt sanften Druck in den Redaktionen und auch vorauseilenden Gehorsam. Man sichert sich mit genehmer Berichterstattung ja auch seine eigene, oft fragile Existenz", analysiert der Politologe ein weltweit verbreitetes Phänomen.

Dzihic verweist auf das Wort "Phantomdemokratie", einen Ausdruck des Politikwissenschaftlers John Keane, um die Situation in Serbien zu beschreiben: "Es handelt sich dabei um eine Form des Regierens, wo demokratische Verfahren zwar weiter vorhanden sind und auch weiter genutzt werden, wo aber die Techniken des Regierens autoritär sind". Auch die NGO Freedom House bezeichnet Vucic’ Art des Regierens mittlerweile als "Hybridregime" zwischen Demokratie und Autoritarismus.

All das sind Gründe, warum das wichtigste Oppositionsbündnis im Land, der Bund für Serbien (SZS), die Wahlen am Sonntag boykottiert. Diese Wahlen hätten ursprünglich am 26. April stattfinden sollen, wurden dann aber wegen der Corona-Pandemie und der Verhängung des Ausnahmezustandes verschoben. Dass man nun dennoch noch vor dem Sommer wählt, während die Corona-Krise noch nicht ganz abgeklungen ist, stößt bei der Opposition auf Kritik. Sie wollte eine Verschiebung auf Herbst, was die Behörden aber ablehnten. Durch den Boykott hat sich die Opposition, die laut Umfragen nur von rund zehn Prozent der Bürger unterstützt wird, aber auch selbst aus dem politischen Spiel genommen.

"Machtverliebt mit messianischen Zügen"

Doch wer ist eigentlich dieser Aleksandar Vucic? Handelt es sich bei ihm um den Pragmatiker, als der er in den letzten Jahren aufgetreten ist? Oder steckt hinter der gemäßigten Hülle immer noch der radikale Nationalist der 1990er Jahre? Schließlich begann Vucics politische Karriere in der Radikalen Partei des Ultranationalisten Vojislav Seselj. Wenn Vucic tief im Landesinneren zu Anhängern spricht, erinnert noch manches an den gefürchteten Informationsminister von 1998 bis 2000.

Das muss freilich nicht viel heißen. Denn Vucic ist ein Meister der Anpassung. Liefert China Hilfsgüter, küsst er die chinesische Flagge und lobt "Bruder Xi" (Jinping), seinen chinesischen Amtskollegen. Gegenüber Brüssel gibt er sich proeuropäisch, gegenüber dem traditionellen Partner Russland als bester Freund und selbst gegenüber den USA zeigt er sich aufgeschlossen.

"Vucic ist vor allem Machtpragmatiker", sagt Dzihic. Auch innenpolitisch ändere er manchmal von einem Tag auf den anderen seinen Kurs, etwa in der Corona-Frage, als er zunächst den Ausnahmezustand verhängte und dann die Krise mehr oder weniger für beendet erklärte. "Vucic geht es vor allem um die Macht. Manche sagen, dass seine Verliebtheit in die Macht fast schon messianische Züge annimmt", erklärt Dzihic. "Er möchte als großer Serbe in die Geschichte eingehen."

Wird sich an Vucic’ Herrschaftsstil etwas ändern, falls er tatsächlich mit Zweidrittelmehrheit regieren kann? Wird er vielleicht die Verfassung des Landes umbauen? "Das glaube ich nicht", sagt Vedran Dzihic. Schon aufgrund der intensiven Proteste in den letzten Jahren sei dem Präsidenten klar, dass seine Position trotz eines breiten Rückhalts in der Bevölkerung auch gefährdet ist. "Die demokratische Fassade ist für Vucic wichtig. Und er ist auch ohne Verfassungsänderung in Richtung autoritäres System der unumschränkte Herrscher von Serbien", resümiert der Politologe.