Berlin/Brüssel. Zu optimistisch möchte sich Horst Seehofer nicht zeigen. Dass es in den kommenden Monaten einen Durchbruch bei einer gemeinsamen Migrationspolitik geben könnte, wollte der deutsche Innenminister nicht garantieren. Doch von dem "konstruktiven Meinungsaustausch" mit seinen EU-Amtskollegen gab er sich erfreut. Denn alle Staaten seien an nachhaltigen statt Ad-hoc-Lösungen interessiert.
Diese gibt es derzeit vor allem bei der Seenotrettung, bei der es immer wieder zu einem Tauziehen zwischen den Ländern kommt. Von einer "unwürdigen Situation" sprechen nicht nur Menschenrechtsorganisationen. Auch Seehofer bezeichnet es so. Vor der Videokonferenz mit seinen Kollegen beschrieb er im ARD-"Morgenmagazin" das derzeitige Prozedere bei der Ankunft von Flüchtlingen: "Es kommt ein Schiff an, und dann wird in ganz Europa rumtelefoniert: Wer ist bereit?" Von den 27 Mitgliedstaaten seien es aber nur wenige, die Geflüchtete aufnehmen wollen. Europa gebe vor der ganzen Weltöffentlichkeit ein schlechtes Bild ab. Die EU sei eben auch eine Wertegemeinschaft, die Menschen vor dem Ertrinken retten und ihnen ein "würdiges Verfahren" in Europa ermöglichen müsse.
Dennoch reißen die Debatten rund um die Verteilung von Flüchtlingen, aber auch um die Seenotrettung nicht ab. Seehofer hatte sich zwar im September 2019 mit seinen Kollegen aus Malta, Italien und Frankreich auf eine Übergangsregelung verständigt, diese ist aber mittlerweile ausgelaufen. Zudem beteiligten sich nur wenige andere Länder wie Irland, Portugal und Luxemburg daran.
Nun hofft Seehofer auf Solidarität aller Staaten. Die könnte sich auch durch Finanzhilfe oder die Entsendung von Schiffen äußern.
Streit um Aufnahme
Doch in der Corona-Krise erklärten Italien und Malta zunächst, den Rettungsschiffen keine sicheren Häfen bieten zu können. Nun zögern sie oft mit deren Zuweisung. An Bord entstehen so immer wieder humanitäre Notlagen.
Zuletzt durfte das private Schiff "Ocean Viking" erst nach Tagen in Porto Empedocle auf Sizilien einlaufen. Es hatte am 25. und 30. Juni 180 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet, wie die Organisation SOS Mediterranee mitteilte. Nach einigem Zaudern stimmte die Regierung in Rom zu, die Migranten auf die Quarantänefähre "Moby Zaza" bringen zu lassen.
An der grundsätzlich verfahrenen Diskussion ändert dies freilich nichts. Seit Jahren streiten die EU-Länder um die Verteilung von Asylwerbern, wobei etwa Österreich, Tschechien und Ungarn eine Quote dazu ablehnen. Staaten wie Italien und Griechenland wiederum fordern sehr wohl einen Mechanismus zur verpflichtenden Aufnahme der Menschen.
Einigkeit hingegen gibt es zumindest bei den Deklarationen zur Notwendigkeit einer Reform des Asylrechts. Auch dazu will die EU-Kommission Vorschläge präsentieren, doch erst im Herbst. Seehofer dämpfte schon Erwartungen, dass es dabei noch heuer zu einer Einigung kommen könnte. Jedoch setzt sich Deutschland, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, für die Idee ein, an den EU-Außengrenzen Vorprüfungen von Asylanträgen zu ermöglichen, um im Falle von Ablehnungen die Menschen zurückzuweisen. Einen Konsens dazu zu finden, ist schwierig genug. (czar/reu/dpa)