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Banger Blick nach Warschau

Von Martyna Czarnowska und Alexander Dworzak

Politik

Die Präsidentenwahl ist eine Richtungsentscheidung für den außenpolitischen Kurs Polens.


Zuerst flog der Premier, danach der Präsident. Zuvor hatten die beiden gestritten, wer sein Land beim EU-Gipfel in Brüssel repräsentieren soll. In der belgischen Hauptstadt angelangt, verhinderte der Premier, dass die Regierungsmaschine zurückfliegt, um den Präsidenten abzuholen. Eine "Seifenoper über den Wolken" nannte es der ARD-Korrespondent.

Es war im Oktober 2008; die handelnden Personen waren Donald Tusk und Lech Kaczynski, der eine Regierungs-, der andere Staatschef Polens. Sie stammten beide aus Parteien aus der rechten Hälfte des politischen Spektrums. Doch Tusks Bürgerplattform (PO) bewegte sich dann ins Zentrum, und PiS (Recht und Gerechtigkeit), die Gruppierung der Kaczynski-Brüder, blieb stramm nationalkonservativ. Und hinter dem Gerangel um die Gipfelanwesenheit stand ein handfester Kompetenzstreit: Wer soll die internationale Politik des Landes prägen?

Das könnte auch eine der Überlegungen sein, die die Polen am Sonntag an den Urnen anstellen. Da entscheiden sie darüber, wer in den kommenden fünf Jahren ihr Staatsoberhaupt sein soll. In der Stichwahl treten Amtsinhaber Andrzej Duda und der Warschauer Bürgermeister, Rafal Trzaskowski, an. Duda kommt aus den PiS-Reihen, Trzaskowski gehört der PO an. Und der Gewinner des Votums, bei dem sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnet, wird den außenpolitischen Kurs seines Landes mitgestalten.

Merkels untypische Kritik

Diesen gab im Fall Dudas die Regierungsfraktion PiS vor. Der Präsident hat auch höchst umstrittene Reformen - wie etwa im Justizwesen - dank seiner Unterschrift unter die Gesetze mitgetragen. So wurde auch er Partei in dem Zwist mit der EU-Kommission rund um rechtsstaatliche Prinzipien und deren mögliche Aushöhlung. Trzaskowski hingegen hat schon versprochen, die Beziehungen Polens zu den EU-Institutionen zu verbessern.

Ein gewichtiges Unionsmitglied könnte ihm da zur Seite stehen - wenn es um die Stärkung der Grundrechte ginge. Denn dies zählt zu den Schwerpunkten des deutschen EU-Ratsvorsitzes im laufenden Halbjahr. "Menschen- und Bürgerrechte sind das wertvollste Gut, das wir in Europa haben", betonte Kanzlerin Angela Merkel vor wenigen Tagen im EU-Parlament in Brüssel.

Es war ein typischer Merkel-Satz, ein Verweis in Richtung des benachbarten Polen und auch Ungarns, ohne die Länder zu nennen. Welch Schaden Merkel in den PiS-Bemühungen zur Umgestaltung des polnischen Justizwesens sieht, legte sie jedoch bereits vor drei Jahren in ganz seltener Deutlichkeit offen: "Zusammenhalt unter Preisgabe der Rechtsstaatlichkeit ist nicht mehr die Europäische Union."

Die Beziehungen zur Regierung in Warschau will Merkel nach außen aber nicht über Gebühr strapazieren, etwa die unterschiedlichen Auffassungen in der EU-Asylpolitik und zur Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2. Für sie ist Polen ein wichtiger Gesprächspartner bei der Neugestaltung der EU. So drängte die Kanzlerin nach dem Brexit-Votum auf eine Belebung des "Weimarer Dreiecks", in dem sich Deutschland, Frankreich und Polen austauschen - stieß aber beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf geringes Interesse.

Historische Verantwortung

Die bilateralen Beziehungen zum polnischen Nachbarn sind Merkel ebenfalls wichtig, auch aus historischer Verantwortung. Erst im Juni unterzeichnete Außenminister Heiko Maas in Polen eine Vereinbarung, wonach Deutschland weitere 60 Millionen Euro zum Erhalt der Gedenkstätte im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau beisteuert.

Weiterhin ist die häufigste Assoziation von Polen mit Deutschland das Thema Krieg, ergab eine aktuelle Umfrage im Auftrag der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS). In polnischen Wahlkämpfen - vorzugsweise bei einem zu erwartenden knappen Ergebnis - zieht PiS daher gerne die anti-deutsche Karte, wie nun vor der Präsidentschaftswahl.

Die polarisierende Linie der Regierungspartei bewirkt, dass weniger Polen ein positives Bild von Deutschland haben als noch 2018. Weil aber zahlreiche Bürger mit dem in vielen Bereichen konfrontativem PiS-Kurs unzufrieden sind, ist in der Gesamtbevölkerung "das Deutschlandbild der Polen positiver als das Bild vom eigenen Land", folgert die KAS.

Seit Jahren konstant hoch hingegen ist in Polen die Zustimmung zur EU insgesamt. Das hat nicht zuletzt mit der finanziellen Unterstützung zu tun, die das Land gut nutzen konnte. Selbst von der Corona-Krise wird es sich laut aktuellen Prognosen schnell erholen. Zwar soll die Wirtschaft nach EU-Schätzungen heuer um 4,6 Prozent schrumpfen, was noch immer der geringste Rückgang unter allen EU-Staaten wäre. Doch dürfte das Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr bereits um 4,3 Prozent zulegen.

Die rasche wirtschaftliche Erholung könnte aber einen unerwünschten Effekt haben. Polen könnte weniger als erhofft vom Wiederaufbaufonds profitieren. Nach ursprünglichen Berechnungen der EU-Kommission würde es aus dem Topf 38 Milliarden Euro an Zuschüssen erhalten - und sich bei den Empfängerstaaten an vierter Stelle hinter Italien, Spanien und Frankreich platzieren. Ob dies so bleibt, hängt von den Kriterien - wie Tiefe der Rezession oder Arbeitslosenzahlen - ab, die für die Verteilung der Mittel festgelegt werden.