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Vergiftete Beziehungen

Von Gerhard Lechner

Politik

Die Ausschaltung von Kremlkritiker Alexej Nawalny, Moskaus Unterstützung für den Autokraten Alexander Lukaschenko, dazu mehrere Spionageaffären des Kremls: In der EU wird wieder über den Umgang mit Russland gestritten.


Alexej Nawalny ist für den Kreml und sein Umfeld ein besonderer Quälgeist. Seit Jahren prangert der russische Oppositionelle die Korruption im Umkreis von Präsident Wladimir Putin an. Der Umstand, dass mit ihm nun der nächste Kreml-Kritiker mutmaßlich vergiftet wurde, während Putin gleichzeitig dem weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko den Rücken stärkt, verbessert das Image Russlands in Europa nicht gerade. Am Freitag war - neben dem Konflikt um Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer  und der Situation in Belarus - auch der Umgang mit Russland Topthema bei einem Treffen der EU-Außenminister in Berlin. Der Türkei drohten die Minister mit gezielten Sanktionen, beim Thema Belarus verständigte man sich auf Strafmaßnahmen gegen knapp 20 Personen aus dem Umfeld von Lukaschenko.

Wie aber geht man mit Moskau um? "Die mutmaßliche Vergiftung von Nawalny verbreitert natürlich den ideologischen Graben zwischen der EU und Russland", sagt Russland-Experte Gerhard Mangott der "Wiener Zeitung". Russlandkritische Länder wie Polen und die baltischen Staaten, aber auch das Ex-EU-Land Großbritannien sähen sich in ihrer Haltung bestätigt. "Mit einem Land, das seine Kritiker vergiften lässt, wird argumentiert, könne man keine Partnerschaft aufbauen. Und eben auch keine Energiezusammenarbeit, etwa wenn man an die Nord Stream 2-Pipeline denkt", sagt Mangott.

Der Umstand, dass die USA die Indienstnahme der noch nicht ganz fertiggestellten Pipeline um jeden Preis verhindern wollen, heizt im Internet die Gerüchteküche an. Anhänger Putins verweisen darauf, dass ein Attentat auf Nawalny für den Kreml extrem kontraproduktiv wäre - und dass man Nawalny, wenn man ihn beseitigen hätte wollen, wohl auch beseitigt hätte. Sie munkeln - wie mehrfach auch der Kreml selbst nach dem Tod oder der Vergiftung seiner Kritiker - über eine mutmaßliche Verwicklung westlicher Dienste in die Affäre. Schließlich würde der Fall Nawalny den USA nützen - und Russland schaden.

Für Kreml-Kritiker sind das absurde Verschwörungstheorien. Sie argumentieren, dass die russische Führung ganz einfach keinen Wert mehr darauf legt, wie sie im Westen wahrgenommen wird. Dass Russland zeitgleich zur Nawalny-Affäre auch in recht offensiver Art diplomatische Konflikte wegen Spionage mit Österreich und Norwegen austrägt, könnte tatsächlich zeigen, dass Moskau nicht allzu viel an seinem Image im Westen liegt.

"Viele Feinde"

Der deutsche Geheimdienstexperte Wolfgang Krieger hält auch die These, dass die Vergiftung nicht von Putin autorisiert wurde, sondern von einer der Ebenen weiter unten ersonnen und ausgeführt wurde, für absurd. Schließlich würde das bedeuten, dass Putin seine Dienste nicht im Griff hätte und sich somit vor seinen eigenen Agenten fürchten müsse, sagte der Historiker dem deutschen Magazin "Stern". Zu glauben, die Geheimdienste hätten auf eigene Faust operiert, sei abwegig.

Dennoch gibt es auch Gegenstimmen. Die Politologin Tatjana Stanowaja vom kremlkritischen Moskauer Carnegie Center hält die Version, dass Putin die Vergiftung persönlich angeordnet hat, für "fragwürdig". Sie sieht vielmehr das Machtsystem in einer Krise. "Nawalny könnte von jemandem vergiftet worden sein, der es für nötig hielt, sich einzumischen, weil der Apparat tatenlos ist", meinte Stanowaja.

Auch Mangott verweist darauf, dass Nawalny viele Feinde hat. "Er hat zuletzt Korruptionsermittlungen gegen den Gouverneur von Tomsk durchgeführt und wollte die Resultate veröffentlichen", sagt der Politologe. Er sei auch regionalen Verwaltungen ein Dorn im Auge. "Für Putin war Nawalnys Vergiftung nicht förderlich. Die Zustimmung zu Nawalny in der Bevölkerung nimmt zu, wenn man gegen ihn vorgeht", argumentiert Mangott. Der Kreml-Chef sei aber verantwortlich für ein Klima, in dem das Leben von Regimekritikern nicht viel zähle - für systemische Gewalt, der nicht Einhalt geboten wird.

Merkel für Nord Stream 2

Der Fall Nawalny, Russlands Unterstützung für Lukaschenko und die Spionageaffären schädigen Russlands Verhältnis zur EU jedenfalls nachhaltig. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird sich jetzt schwertun, seine Initiative, mit Russland wieder das Gespräch zu suchen, fortzuführen. Auch in der deutschen CDU mehren sich kritische Stimmen, die die Fertigstellung von Nord Stream 2 jetzt überdenken wollen. Kanzlerin Angela Merkel hält allerdings an der Pipeline fest: "Dieses wirtschaftlich getriebene Projekt jetzt mit der Frage Nawalny zu verbinden, halte ich nicht für sachgerecht", sagte die deutsche Bundeskanzlerin am Freitag - und kritisierte Sanktionsdrohungen der USA. Russland sei außerdem ein geostrategischer Akteur, mit dem man im Gespräch bleiben müsse.

"Russlands Europapolitik ist auf Paris, Berlin, Rom und Madrid fixiert - auf die wichtigsten Einzelstaaten der EU also", sagt Mangott. In klassischem Großmachtdenken verhaftet, nimmt Moskau kleinere Staaten - darunter auch Österreich - in der Regel nicht allzu ernst. Und auch nicht die EU als Institution: "Russland begreift sie als eine Art Vasall der US-Außenpolitik", so Mangott. Außenpolitik, das sei für Moskau die Interaktion zwischen großen Mächten. An die westlichen Sanktionen hat sich der Kreml längst gewöhnt - es ist gelungen, die negativen Folgen abzumildern. "Man wird jedenfalls sicher keine substanziellen Zugeständnisse machen, um die Sanktionen wegzubekommen", schlussfolgert Mangott.