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Mordprozess Kuciak: Symptom eines "Mafia-Staates"

Von Michael Schmölzer

Politik

Brisanter Prozess rund um die Ermordung des slowakischen Reporters Jan Kuciak.


Bratislava/Wien. Der Prozess rund um den Mord an dem slowakischen Journalisten Jan Kuciak ist reich an Dramatik: Die Urteilsverkündung gegen den möglichen Drahtzieher, Geschäftsmann und Millionär Marian Kocner hätte schon im August erfolgen sollen, wurde aber in letzter Sekunde verschoben. Ob der Richterspruch am Donnerstag erfolgt, war bis zuletzt ebenfalls nicht sicher. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat zu Beginn der Woche völlig überraschend einen neuen Antrag auf Ergänzung der Beweisaufnahme eingebracht.

Der slowakische Polit-Experte Milan Zitny kennt die Hintergründe: "Die Anklage hat zuletzt keinen direkten Beweis gegen Kocner in der Hand gehabt", so Zitny im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Ob ein solcher nun vorliegt, war unklar. Die Nerven liegen blank, ein Freispruch Kocners aus Mangel an Beweisen wäre eine Sensation mit großer Sprengkraft.

Denn die Causa Kuciak, der größte Mordprozess in der Geschichte der Slowakei, ist politisch brisant. Der Reporter und dessen Verlobte, Martina Kusnirova, waren am 21. Februar 2018 in Velka Maca erschossen worden. Der Mord führte zu den größten Anti-Regierungsprotesten in der Slowakei seit der Wende 1989. Der Polit-Elite wurde Korruption und Machtmissbrauch vorgeworfen, schließlich musste der amtierende sozialdemokratische Premier Robert Fico zurücktreten. Er wurde durch einen Vertrauten, Peter Pellegrini, ersetzt. Aus den Wahlen im Februar 2020 ging schließlich der Populist Igor Matovic, Chef der Protestpartei "Gewöhnliche Menschen" (OLaNO), als Sieger hervor. Er versprach, Korruption und Misswirtschaft systematisch den Kampf anzusagen.

Gemeinsam mit dem Hauptverdächtigen Kocner steht eine Italienisch-Dolmetscherin, die den Mord organisiert und ein Mann, der den Todesschützen zum Tatort gefahren haben soll, vor Gericht. Der Ex-Soldat und Todesschütze, Miroslav Marcek, hat die Tat in einem separaten Prozess bereits gestanden und ist zu einer Freiheitsstrafe von 23 Jahren verurteilt worden.

13 Richter festgenommen

Der Fall erregt deshalb enormes öffentliches Aufsehen, weil er für die Slowaken ein Symptom für die mafiaartigen Zustände im Land ist. Tatsächlich hat eine Spezialeinheit der Polizei knapp vor Angelobung der neuen Regierung Matovic 13 teils hochrangige Richter festgenommen. Sie alle hätten über Betrugsfälle entscheiden sollen und waren vom Angeklagten Kocner offenbar bestochen worden.

Zu den Verhafteten zählen die ehemalige Justiz-Staatssekretärin Monika Jankovska und die stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichts der Slowakei. Den Festgenommenen wird Korruption und Amtsmissbrauch vorgeworfen.

Mit den augenscheinlichen Missständen wollte der neue Premier Matovic rigoros aufräumen. Bis dato ist der Populist, der auf spektakuläre Inszenierung setzt und sich fallweise einer deftigen Ausdrucksweise bedient, als strenger Umsetzer strikter Corona-Regeln in Erscheinung getreten. Abseits davon ist die innenpolitische Performance der neuen Regierung laut Zitny dürftig. Zwar habe Matovic die Ablöse des skandalumwitterten bisherigen slowakischen Polizeipräsidenten erwirkt, an einem ernsthaften Kampf gegen Korruption habe der Premier aber "kein Interesse". Er sei vielmehr bemüht, den Staatsapparat mit ihm loyalen Personen zu besetzen, so Zitny.

Die Enttäuschung ist groß, laut jüngsten Umfragen hat der Regierungschef massiv an Popularität eingebüßt. So hat die in einer Koalition befindliche OLaNO nur noch 18 Prozent der Wähler auf ihrer Seite - das ist im Vergleich zum Februar ein Minus von 7 Prozentpunkten. Der ehemalige sozialdemokratische Premier Pellegrini, der sich von seinem Mentor Fico emanzipiert und mittlerweile seine eigene Partei gegründet hat, liegt mit 17 Prozent fast gleichauf.

Matovic steht derzeit auch wegen einer Plagiatsaffäre unter Druck. Der Premier soll seine Diplomarbeit über weite Teile abgekupfert haben, das Werk aus dem Jahr 1998 erfüllt laut Experten die nötigen Anforderungen nicht. Der akademische Titel kann Matovic nach derzeitiger Rechtslage aber nicht aberkannt werden.

Der Premier, der sich als Saubermann präsentiert, zeigt sich geständig. Als Unternehmer habe er keine Zeit für das Studium gehabt, an Details könne er sich nicht mehr erinnern. "Wenn dem so ist, dann habe ich etwas gestohlen, was mir nicht gehört, bin also de facto in dieser Sache ein Verbrecher", meint Matovic auf Facebook: Eine Form der Offenheit, die von den Slowaken nicht geschätzt wird.