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Putins riskante Belarus-Strategie

Von Gerhard Lechner

Politik

Dass Weißrusslands autoritärer Staatschef Alexander Lukaschenko trotz massiver Proteste immer noch im Amt ist, hat er auch seinem russischen Amtskollegen zu verdanken. Doch der geht mit seiner Belarus-Politik ein hohes Risiko ein.


Ein gut geölter Sicherheitsapparat allein ist nicht alles. Dass sich Alexander Lukaschenko trotz aller Proteste gegen ihn, die nach wie vor nicht abreißen, immer noch an der Staatsspitze von Belarus hält, verdankt der Autokrat auch russischer Hilfe. Nach einem etwa einwöchigen Zögern stützte Russlands Präsident Wladimir Putin seinen schon halb fallenden weißrussischen Amtskollegen - nicht nur mit der Ankündigung, im Falle einer Eskalation eingreifen zu wollen, sondern auch mit konkreten Maßnahmen: So wurden etwa Journalisten des eher biederen weißrussischen Staatsfunks, die gekündigt hatten, durch russische Profis in Sachen Infokrieg ersetzt.

Lukaschenko weiß das zu schätzen: "Sie verstehen, wie wichtig Sie für uns in dieser schwierigen Phase waren. Und was Sie technisch gezeigt haben, Ihre IT-Spezialisten und Journalisten und Korrespondenten und so weiter. Und Ihr Manager. Das ist viel wert", sagte der Autokrat dem staatlich finanzierten russischen Sender RT in einem Interview.

Der weißrussische Präsident bedankte sich für eine Unterstützung, die sich möglicherweise nicht auf den Medienbereich beschränkt: Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass russische Sicherheitskräfte ihre belarussischen Kollegen bei der Niederschlagung der Proteste unterstützen. Die Sicherheits- und Geheimdienste beider Länder sind eng miteinander verwoben. Ein Signal aus Moskau, dass der Kreml hinter Lukaschenko steht, schreckt außerdem mögliche Überläufer ab. Die Opposition in Minsk ist allerdings auf Überläufer angewiesen, um den Machtkampf mit dem Autokraten doch noch zu gewinnen - ihre Karten werden daher mit jedem Tag schlechter.

Das Liebeswerben um Russland haben die Regimegegner um Gegenkandidatin Swetlana Tichanowskaja jedenfalls verloren. Zwar betonen Führungsfiguren wie Maria Kolesnikowa immer wieder die Wichtigkeit Russlands für Belarus. Der Konflikt in Minsk, so das Signal nach Moskau, sei ein rein innenpolitischer. Auch die EU bemüht sich nach den Erfahrungen in der Ukraine ostentativ, Putin keinen Vorwand für ein erneutes Eingreifen zu geben.

Im Jahr 2013 hatte man Kiew mit dem Assoziierungsabkommen noch vor die schwierige Wahl zwischen West und Ost gestellt. Das mit Russland wirtschaftlich und sicherheitspolitisch wesentlich enger verwobene Belarus steht heute vor keiner solchen Entscheidung.

Langfristig fatale Strategie?

Außerdem ist das Verhältnis Putins zu Lukaschenko alles andere als eine Liebesbeziehung. Als im Frühjahr der gemütlich wirkende und im Land populäre Belgasprombank-Banker Wiktor Babariko seine Kandidatur für die Präsidentschaft ankündigte, munkelten so manche westliche Beobachter - wohl zu Unrecht - von einem Kandidaten des Kremls. Heute ist Babariko verhaftet und seine Wahlkampfmanagerin Kolesnikowa der Kopf der Opposition in Minsk. Ein Präsident Babariko wäre für Russland keine Katastrophe.

Dennoch hat der Kreml kein Interesse an einer erfolgreichen demokratischen Revolution im Nachbarland. Erstens könnte sie Enttäuschte im eigenen Land zur Nachahmung animieren - ein Worst-Case-Szenario für den Kreml. Außerdem ist das Lukaschenko-Regime außenpolitisch berechenbarer als ein demokratisches Belarus. Schließlich gibt es auch in Weißrussland ein prowestliches Lager sowie die ein oder andere westliche Stiftung im Land. Unter demokratischen Rahmenbedingungen könnten zudem auch die wenigen versprengten Nationalisten wieder Anhänger finden.

Vor allem aber täte sich ein demokratisches Belarus wesentlich leichter, Kontakte zum Westen zu knüpfen. Diese Möglichkeit hat sich Lukaschenko durch sein brutales Durchgreifen jetzt wohl für lange Zeit verbaut - für Russland eine ideale Entwicklung: Einem schwachen, von Moskau gänzlich abhängigen Lukaschenko wird es schwer fallen, die Wünsche des großen Bruderlandes abzulehnen - etwa den nach einer noch stärkeren Integration Weißrusslands in russische Strukturen.

Langfristig könnte diese Strategie für Moskau freilich fatal sein: Auch der Kreml weiß, dass die Unterstützung für Lukaschenko in der weißrussischen Gesellschaft in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist - vor allem auch in den kleinen Städten, wo viele Arbeitslose wohnen. Nur in den Dörfern punktet der wortgewaltige, bäuerlich geprägte Autokrat noch. Die russische Unterstützung für Lukaschenko - am Donnerstag flog Premierminister Michail Mischustin nach Minsk, ein Treffen Putin-Lukaschenko soll es bald geben - hat viele Weißrussen enttäuscht und verärgert. Putin riskiert mit seinem kühlen machtpolitischen Vorgehen, dass sich die weißrussische Gesellschaft von Russland abkoppelt - oder jedenfalls vom russischen Staat Putin’scher Prägung.

Moskau auf verlorenem Posten

Dies auch deshalb, weil in unmittelbarer Nähe Weißrusslands die EU-Staaten Polen und Litauen liegen, mit denen Belarus ebenfalls eine gemeinsame jahrhundertelange Geschichte verbindet - die Kanzleisprache im alten Großfürstentum Litauen war eine Vorform des Weißrussischen. Diese Staaten wirken als eine Art "Schaufenster des Westens", als ein Vorbild für die eigene Entwicklung. Vor allem die akademische Jugend spottet schon lange über Lukaschenkos sowjetische Staatsidee, empfindet sie als ebenso repressiv wie lächerlich - und sehnt sich nach europäischen Freiheiten. Langfristig steht Moskau auch in Belarus auf verlorenem Posten - zumindest, wenn man die eigene Politik nicht ändert.