Die von der britischen Regierung erwogenen Änderungen der Bestimmungen zu Nordirland im EU-Austrittsvertrag, der die Bedingungen für das Ausscheiden Großbritanniens aus der Union am 31. Jänner 2020 festgelegt hat, lässt die Wogen hochgehen. "Ja, das verletzt internationales Recht in einer sehr spezifischen und begrenzten Weise", gab der für Nordirland zuständige Staatssekretär Brandon Lewis am Dienstag vor dem Parlament in London zu.
Großbritannien gedenkt somit, sich in einem geplanten Gesetzentwurf über internationale Vereinbarungen hinwegzusetzen. Gleichzeitig betonte Lewis, die Regierung in London stehe zu ihren internationalen Verpflichtungen.
London hatte einst unter anderem zugesichert, dass es keine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland geben werde. Hintergrund ist die Sorge, dass die konfessionellen Auseinandersetzungen in Nordirland mit einer harten Grenze wieder aufflammen könnten. Mit besonders großer Besorgnis verfolgt daher die Regierung in Dublin die jüngsten Entwicklungen. Der irische Ministerpräsident Micheal Martin warnte die britische Regierung, ein Bruch des Brexit-Abkommens würde alle Verhandlungen "null und nichtig" machen.
Natürlich wecken die jüngsten Signale aus London nicht übersteigerte Hoffnungen auf ein Abkommen, aber das kann auch Strategie sein", erklärte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz mit Blick auf die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über die künftigen Beziehungen
Chefjurist der britischen Regierung vor Rücktritt
Im Streit über das weitere Vorgehen wirft der Chefjurist der britischen Regierung einem Zeitungsbericht zufolge das Handtuch: Jonathan Jones liege im Streit mit dem Büro von Johnson über die angeblichen Pläne, Teile des Abkommens mit Bezug zu Nordirland zu untergraben, berichtete die "Financial Times" unter Berufung auf Insider. Demnach sei Jones "sehr unglücklich" über die Entscheidung, entsprechende Teile der Vereinbarung zu ändern.
Die Regelung der Nordirland-Frage stand bereits beim Aushandeln des Brexit-Vertrags im Fokus: EU-Chefunterhändler Michel Barnier betonte danach, eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland sei ausgeschlossen. Nordirland werde etwa im Güterverkehr weiter EU-Regeln unterliegen. Zugleich werde die Provinz der britischen Zollhoheit für Waren unterstehen, wenn diese dort verblieben - damit würden künftige britische Handelsabkommen mit Drittstaaten auch in Nordirland gelten. Zugleich sei der Weg geebnet für ein Handelsabkommen der EU mit Großbritannien, in dem es weder Zölle noch Quoten gebe.
Einigung muss bis September erfolgen
Nun sollte Barnier in London erneut Gespräche mit der britischen Seite führen, ohne dass sich das von ihm 2019 skizzierte Handelsabkommen auch nur ansatzweise am Horizont abzeichnet. EU-Vertreter warnten, dass eine Einigung noch im September erzielt werden müsse, wenn man eine Ratifizierung vor Jahresende erreichen wolle. Dann endet nach dem britischen Austritt aus der EU die derzeit laufende Übergangsphase, in der das Land noch Teil des EU-Binnenmarktes ist. Sollte keine Einigung gelingen, drohen nach Einschätzung von Wirtschaftsvertretern und der EU massive Verwerfungen im Handel zwischen dem Königreich und der EU. Der Zugang für britische Waren zum EU-Binnenmarkt wäre dann nur noch auf der Grundlage allgemeiner WTO-Regeln möglich.
London verlangt "mehr Realismus"
Vor der neuen Verhandlungsrunde zwischen der EU und Großbritannien hat der britische Chefunterhändler David Frost den Ton verschärft und "mehr Realismus" von Brüssel gefordert. Wenn ein Abkommen bis Ende des Jahres stehen solle, müsse es in dieser Woche Fortschritte geben, betonte Frost vor den Gesprächen mit EU-Chefunterhändler Barnier. (reuters)