Der britische Premierminister Boris Johnson hat seine Brexit-Politik im Unterhaus gegen wachsende Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt. Das von ihm geplante Binnenmarktgesetz sei notwendig, da die Europäische Union in den Verhandlungen den "Revolver" nicht vom Tisch genommen habe, sagte Johnson zu den Abgeordneten am Montag, als er seinen Gesetzentwurf ins Parlament einbrachte. Er warf der EU vor, den im Jänner vereinbarten Austrittsvertrag zu nutzen, um Handelsbarrieren zwischen Nordirland und die restlichen Mitglieder Großbritanniens zu treiben. Die EU drohe sogar mit einer Lebensmittelblockade, indem sie sage, sie könne britische Exporte nach Nordirland stoppen

Johnson warf der EU vor, die territoriale Integrität des Vereinigten Königreichs zu gefährden. Die Staatengemeinschaft drohe damit, "Zollgrenzen durch unser eigenes Land" zu ziehen und "unser eigenes Land zu zerteilen". Es dürfe keine Situation entstehen, "in der die Grenzen unseres Landes von einer fremden Macht oder einer internationalen Organisation diktiert werden", mahnte Johnson am Montagabend vor den Abgeordneten. "Kein britischer Premierminister, keine Regierung, kein Parlament könnte so eine Aufzwingung je akzeptieren."

Das britische Unterhaus begann am Montag mit den Beratungen über den Entwurf für ein umstrittenes Binnenmarktgesetz, das den im Jänner mit der EU geschlossenen Brexit-Vertrag einseitig ändern würde. Die neuen Pläne, die Johnsons Regierung vor einigen Tagen überraschend angekündigt hatte, würden mehrere Schlüsselregelungen im Brexit-Vertrag zu Nordirland einseitig aushebeln. Dabei geht es um die Aussetzung von Zollregelungen im Warenhandel für die britische Provinz und von Vorgaben zu Staatsbeihilfen für britische Unternehmen.

Aufstand in den eigenen Reihen droht

Die EU sieht darin einen klaren Verstoß gegen das Brexit-Abkommen. Selbst die britische Regierung räumte einen internationalen Rechtsbruch ein, bezeichnet ihn aber als nur "sehr spezifisch und begrenzt". Johnson droht nun ein Aufstand innerhalb seiner eigenen Fraktion. Viele Tories, darunter auch Brexit-Befürworter, wollen den geplanten Rechtsbruch nicht mittragen und fordern eine Rücknahme des Entwurfs. Sie befürchten, der Bruch könnte das internationale Vertrauen in Großbritannien erschüttern und den brüchigen Frieden in Nordirland gefährden.

Auch Johnsons Vorgänger haben sich kritisch zu Wort gemeldet: Bisher haben fünf Ex-Premiers - die drei Konservativen Theresa May, Davod Cameron und John Major sowie auf Labour-Seite Tony Blair und Gordon Brown - scharfe Kritik an den Plänen ihres Nachfolgers geäußert.

Sollte Johnson sein Vorhaben wirklich durchziehen, ist man einem No-Deal-Brexit einen großen Schritt näher gerückt. Die EU, die ihre Ablehnung gegen ein derartiges britisches Vorgehen bereits klar ausgedrückt hat, wäre brüskiert. Somit belasten die Pläne der britischen Regierung die laufenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen und ein Handelsabkommen zwischen EU und Vereinigtem Königreich. Sie müssen bis spätestens Mitte November abgeschlossen werden, damit bis Jahresende ein Abkommen steht, wenn Großbritannien auch den Binnenmarkt und die Zollunion verlässt. Sonst gehen im beiderseitigen Handel wieder die Zollschranken herunter.