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Zwei "Brexit-Boys" sind aus dem Spiel

Von Michael Schmölzer

Politik

Chefberater und Kommunikationschef des britischen Premiers unterliegen in chaotischem Machtkampf.


In Brüssel blickt man einmal mehr ungläubig auf die Downing Street: Mitten in der Endphase der Brexit-Verhandlungen ist dort ein Machtkampf im Gange, laut Insidern herrschen im Umfeld des britischen Premiers Boris Johnson "chaotische" Zustände. Unter den Verlierern: Dominic Cummings, Chefberater des Premiers und glühender Brexit-Befürworter. Der einflussreiche britische Regierungsberater hat mit einem großen Karton in den Händen die Downing Street verlassen.  Er werde seinen Posten mit sofortiger Wirkung verlassen, berichtete die BBC.<p>Zuvor hatte sich der Sender auf hochrangige Regierungsquellen berufen, die von einem Abgang "vor Weihnachten" sprachen. Cummings selbst hatte seinen Rückzug aus der Downing Street am Freitag zunächst nur indirekt bestätigt - und auf einen seiner früheren Blogbeiträge verwiesen. Seine im Jänner auf dem Blog erklärte Position habe sich nicht geändert, sagte er der BBC. In dem Beitrag hatte Cummings geschrieben, er hoffe, sich bis Ende 2020 "weitgehend überflüssig" zu machen.

Britische Medien sprechen von einem heillosen Durcheinander im Regierungslager. Johnson hatte die Funktion des Stabschefs in Downing Street zunächst Cain angeboten, die Beförderung dann aber wieder zurückgezogen. Verschiedene Gruppen im Umfeld Johnsons sollen sich heftig bekriegen, die Verlobte des Premiers, Carrie Symonds, spielt dabei offenbar eine wichtige Rolle.

"Karriere-Psychopath"

Tatsache ist, dass mit Cummings eine höchst umstrittene Figur das Feld räument. Anhänger feiern den oft mit Wollmütze und T-Shirt im Regierungsviertel anzutreffenden Politiker als scharfsinnigen Strategen. Das Urteil seiner zahlreichen Gegner fällt weniger schmeichelhaft aus: Für den Tory und Ex-Premier David Cameron etwa ist Cummings schlicht ein "Karriere-Psychopath".

Immerhin sind mit Cain und Cummings jetzt zwei führende "Brexit-Boys" aus dem Spiel. Optimisten gehen davon aus, dass nun die Chancen auf einen Erfolg bei den Handelsgesprächen mit der EU steigen. Ob das so ist, muss sich noch weisen. Erwartungen, wonach der britische Brexit-Unterhändler David Frost nun ebenfalls den Hut nehmen muss, haben sich zuletzt nicht bewahrheitet.

Allerdings hat Johnson mit Donald Trump seinen Brexit-Verbündeten im Weißen Haus verloren. Joe Biden gilt nicht als Freund des britischen Premiers, er steht der Abspaltung Großbritanniens von der EU skeptisch gegenüber. Und er will, dass die britische Regierung die mit Brüssel vereinbarten Regeln für die Grenzen zwischen Irland und Nordirland einhält. Johnson wird unter Umständen tatsächlich einlenken müssen, will er es sich mit dem wichtigen Partner am anderen Ende des Atlantiks nicht verscherzen.

Die Zeit drängt, die Übergangsregeln mit der Europäischen Union laufen mit Ende des Jahres aus. In Brüssel ist man längst zu der Überzeugung gelangt, dass London in die entscheidenden Verhandlungen gegangen ist, ohne zu wissen, worauf man eigentlich hinauswill. Gemutmaßt wird, dass die britische Seite auf ein nicht näher definiertes Wunder gehofft hat, das London in die Hände spielt. Doch diese magische Wende ist ausgeblieben.

Unstimmigkeiten bleiben

Und so schleppen sich die Verhandlungen mit Brüssel weiter zäh dahin. Mehrere Fristen sind bereits verstrichen. Ursprünglich sollte bis Mitte Oktober ein Vertragstext stehen, dann bis Ende Oktober. Zuletzt hieß es von EU-Seite, diese Woche müsse der Durchbruch spätestens gelingen, damit ein Abkommen noch vor Jahresende ratifiziert werden könne. Aber auch damit wird es nichts. Jetzt wird es nächste Woche in Brüssel weitergehen.

EU-Chefverhandler Michel Barnier konnte in den letzten Monaten nie einen substanziellen Fortschritt verkünden. Der Franzose ist aber zu Optimismus verpflichtet, er hat sich über die Jahre die Pose scheinbar unerschütterlicher Geduld zugelegt.

Hoffnung gibt der Umstand, dass weder London noch die EU schuld an einem Scheitern der Gespräche sein will. Immer wieder gibt es Berichte über einzelne Erfolge, in den Kernbereichen Fischereirechte und Regeln für fairen Wettbewerb lässt eine Annäherung aber auf sich warten.