Zum Hauptinhalt springen

Zeitenwende auf der Iberischen Halbinsel

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik
Gegner der Legalisierung der Sterbehilfe sprechen unter anderem von einer "Industrie des Todes".
© reuters/Susana Vera

Ausgerechnet die zwei katholisch geprägten Länder Spanien und Portugal werden unter ihren linken Regierungen zu Vorreitern bei der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe.


Ángel Hernández wusste damals, dass er eine Straftat beging. Aber er wollte nicht länger warten. Seine Frau wollte nicht länger warten. María José, damals 61 Jahre alt, litt unter schwerer Multipler Sklerose. Sie konnte sich nicht mehr bewegen, war vollkommen auf die Hilfe ihres Mannes angewiesen. Ihr Körper war schwach, aber ihr Wille war stark. Ihr Wille zu sterben.

Im April 2019 war es dann so weit. Ángel filmte seine Frau und fragte sie mehrmals: "Bestehst du darauf, dass du dich umbringen willst?" "Ja. Je eher, umso besser", antwortete sie auf dem Video immer wieder mit schwacher Stimme. Danach reichte Ángel seiner geliebten Frau auf eigenen Wunsch ein tödlich wirkendes Pentobarbital, das sie selber mit einem Strohhalm einnahm. Ángel wurde wegen Beihilfe zur Selbsttötung angeklagt. Schließlich aber wegen häuslicher Gewalt zu sechs Monaten Haft verurteilt, die er allerdings nicht absitzen musste. Der Fall von Ángel und María José wühlte damals die Gesellschaft auf und stieß die politischen Diskussionen zur Legalisierung der Sterbehilfe erneut an. Ángel wurde aktiv, sammelte mehr als eine Million Unterschriften für die Einführung einer straflosen Sterbehilfe, die er im Sommer dem Parlament übergab.

Konservative und Kirche fordern ein Referendum

Mit Erfolg: Ende Dezember hat das Abgeordnetenhaus in Madrid mit großer Mehrheit eine Gesetzesinitiative zur Legalisierung der aktiven Sterbehilfe verabschiedet. Sobald der Senat das vom Parlament beschlossene Gesetz wie erwartet noch im Jänner bestätigt, wird Spanien nach den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Kanada und Neuseeland das weltweit sechste Land, in dem die aktive Sterbehilfe und die Beihilfe zum Suizid demnächst rechtlich erlaubt und straffrei sind. Die Kosten trägt sogar die staatliche Krankenkasse.

Im Jänner will auch das Nachbarland Portugal die aktive Sterbehilfe einführen. In Portugal können seit mehr als fünf Jahren Patienten mit einer schweren, unheilbaren Krankheit ein sogenanntes "Testament" ablegen, in dem sie bestimmen, ob sie im Endstadium ihrer Krankheit auf lebenserhaltende Mittel zugreifen wollen oder nicht. Doch diese Form der passiven Sterbehilfe ging der sozialistischen Regierung von Antonio Costa nicht weit genug. Bereits im Februar 2020 sprach sich das Parlament in Lissabon im Grundsatz dafür aus. Jetzt soll das Gesetz verabschiedet werden, das genügend Unterstützung von einer linken Parlamentsmehrheit besitzt. Die konservative Opposition und die katholische Kirche fordern ein Referendum. Laut Umfragen spricht sich in Portugal tatsächlich nur eine knappe Mehrheit der Bevölkerung von 50,5 Prozent für die aktive Sterbehilfe aus. 25,6 Prozent lehnten sie ab, 23,9 Prozent zeigten sich unentschlossen. Die sozialistische Regierung lehnt eine Volksbefragung jedoch ab, da die Wähler nur schwer für Referenden zu mobilisieren sind. Als Beispiel verwies man auf das Referendum 2007 zum freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Damals haben nur 44 Prozent der Wähler abgestimmt.

Allianz von Sozialisten und Liberalen

Gegner der Sterbehilfe hoffen nun auf das Veto von Portugals konservativem Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa, einem überzeugten Katholiken, der das Verfassungsgericht für eine Entscheidung aufrufen könnte. Doch als dieser im letzten Wahlkampf 2015 zur Sterbehilfe befragt wurde, versprach Rebelo de Sousa, "persönliche Positionen" bei der Verabschiedung von Gesetzen außer Acht zu lassen, wenn er keine rechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken hat. Ob er sich an sein Wort hält, bleibt abzuwarten. Zumal am 24. Jänner Präsidentschaftswahlen in Portugal stattfinden, bei denen er wiedergewählt werden will.

Über Jahre war die Front der Gegner der Sterbehilfe auch im katholischen Spanien sehr stark. So forderte auch die spanische Bischofskonferenz im Vorfeld der Parlamentsabstimmung Ende Dezember die Abgeordneten vehement auf, gegen die Gesetzesinitiative der links-sozialistischen Regierung zu stimmen.

In einem offenen Brief prangerten die Bischöfe auch die "verdächtig beschleunigte Art und Weise" an, mit der das neue Gesetz "in Zeiten der Pandemie und des Alarmzustands" und "ohne öffentlichen Dialog" geplant wurde. Für die rechte Vox-Parlamentarierin Lourdes Méndez-Monasterio komme die neue Norm der Einführung einer "Industrie des Todes" nahe. Doch die Zeiten - und vor allem die Parlamentsmehrheiten - haben sich auch im ehemals erzkatholischen Spanien geändert. Spaniens sozialistischer Ministerpräsident Pedro Sánchez steht mit der linken Unidas Podemos zwar nur einer Minderheitsregierung vor. Doch mit Blick auf die Legalisierung der Sterehilfe konnte er auf die Unterstützung der Liberalen sowie fast aller Regionalparteien zählen. Auch Kataloniens Separatisten gaben grünes Licht. Lediglich die konservative Volkspartei PP und die rechtspopulistische Vox stimmten dagegen.

Es handelte sich um eine "transversale Forderung der Gesellschaft", betonte der Gesundheitsminister Salvador Illa nach der Abstimmung im Parlament. Umfragen, nach denen mehr als 80 Prozent der Spanier seit Jahren die Legalisierung der Sterbehilfe unterstützen, geben ihm recht.

"Es waren vor allem individuelle Schicksale wie das von Ángel Hernández und seiner Frau María José, welche den Schrei nach einer legalen aktiven Sterbehilfe in einem Großteil der spanischen Bevölkerung - und der Politiker - provozierte", erklärt der spanische Soziologe Fernando Savater. Eine Entwicklung, die bereits Ende der 1990er Jahre mit dem querschnittsgelähmten Ramón Sampedro startete, der sich umbrachte und dessen Leben - und Leiden - später mit Hollywoodstar und Oscar-Preisträger Javier Bardem verfilmt wurde.

Zahlreiche Bedingungen müssen erfüllt sein

So führen nun ausgerechnet zwei sehr katholisch geprägte Länder wie Portugal und Spanien die Sterbehilfe ein. Das erfreut nicht alle und es wird noch zu heftigen Debatten kommen - in der Politik wie in der Gesellschaft. Für die meisten Spanier und Portugiesen scheint die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe allerdings ein längst überfälliger Schritt zu sein. "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, als mich die Nachricht erreichte, dass das Parlament grünes Licht für die Legalisierung gegeben hat", gibt Ángel Hernández zu. Er habe seiner Frau María José damals versprochen, nicht zu sterben, bevor dieses Gesetz verabschiedet ist, erzählt er der Zeitung "La Vanguardia" unter Tränen.

Um diesen externen Inhalt zu verwenden, musst du Tracking Cookies erlauben.

Damit Ärzte aktive Sterbehilfe oder Beihilfe zum Suizid leisten können, müssen allerdings zahlreiche Bedingungen erfüllt werden: Voraussetzung ist, dass die Patienten volljährig und im vollen Besitz ihrer geistigen Fähigkeiten sind. Zudem müssen sie an unheilbaren Krankheiten oder schweren chronischen Behinderungen leiden, die mit anderen Mitteln nicht gemildert werden können. Psychische Erkrankungen sind ausgeschlossen.

Bevor eine Sterbehilfe erlaubt wird, muss der Kranke zwei Mal seinem Arzt schriftlich den Willen bekunden, sein Leben beenden zu wollen. Danach zieht dieser noch einen Facharzt heran. Anschließend muss eine von der jeweiligen Regionalregierung gebildete Kontroll- und Evaluierungskommission mit Ärzten, Juristen und Psychiatern dem Antrag zustimmen, den der Patient dann nochmals bestätigen muss. Ärzten und Pflegern wird das Recht eingeräumt, aus Gewissensgründen nicht an Sterbehilfe teilzunehmen.

"Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben"

So weit ist die Entwicklung in Österreich noch nicht, auch wenn das Verfassungsgericht Mitte Dezember das bisherige Sterbehilfe-Verbot nach Klagen mehrerer Schwerkranker ausdrücklich aufhob. Es sei verfassungswidrig, hieß es, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasse "sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben", erklärten die Wiener Verfassungsrichter.

Der Salzburger Erzbischof Franz Lackner kritisierte das Urteil als einen "Dammbruch" und warnte davor, dass die erlaubte Beihilfe zum Suizid den Druck auf unheilbar kranke Menschen erhöhen könnte, davon auch Gebrauch zu machen. "Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch wenn er sich selbst aufgegeben hat", sagte Erzbischof Lackner. Die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) sprach hingegen von einem historischen Durchbruch.

Die schwarz-grüne Regierungskoalition hat nun bis zum 1. Jänner 2022 Zeit, die Sterbehilfe gesetzlich neu zu regeln. Derzeit kann Sterbehilfe in Österreich mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Tötung auf Verlangen wird auch weiterhin strafbar bleiben. Auch andere Länder wie zum Beispiel Deutschland planen die langsame Legalisierung zumindest der passiven Sterbehilfe.