Großbritannien hat die EU um eine Verlängerung der Schonfrist für Zollkontrollen im Warenverkehr zwischen Nordirland und dem übrigen Vereinigten Königreich gebeten. Die Ende März auslaufende Übergangsphase für Supermärkte und ihre Lieferanten sollte bis 2023 ausgedehnt werden, schlug Kabinettsminister Michael Gove in einem Schreiben an EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic vor. Irland zeigte sich offen für den Vorschlag.
Sefcovic wandte sich indes gegen eine Aushöhlung des Sonderstatus von Nordirland. Das Nordirland-Protokoll sei ein zentraler Punkt des Austrittsvertrags, schrieb er am Mittwoch auf Twitter. Es sei der einzige Weg, den Frieden auf der irischen Insel zu wahren. Das sei "die absolute Priorität für die EU", betonte er im Vorfeld eines Krisengipfels zur Situation in der britischen Provinz am Mittwochabend.
EU-Recht in Nordirland
Als Teil des Brexit-Abkommens hatten die beiden Seiten eine dreimonatige Schonfrist für Kontrollen von Lebensmittellieferungen von Großbritannien nach Nordirland vereinbart, um die Auswirkungen des britischen EU-Ausstiegs abzumildern und leere Regale in den Supermärkten zu vermeiden. Hintergrund ist eine Brexit-Sonderregelung, mit der eine harte Grenze zwischen Nordirland und der zur EU gehörenden Republik Irland vermieden werden soll, weil ansonsten ein Wiederaufflammen der Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion befürchtet wird.
Die Regelung sieht vor, dass Nordirland Teil des britischen Zollgebiets ist, aber dort alle relevanten EU-Binnenmarktregeln gelten. Um aber den Schutz des EU-Binnenmarktes zu garantieren, fallen Waren, die von Großbritannien nach Nordirland geliefert werden, damit weiter unter EU-Vorschriften, womit es eine Zollregelung innerhalb des Vereinigten Königreichs mit auch bürokratischem Aufwand gibt. Dies hat kürzlich bereits zu wachsenden Spannungen in Nordirland geführt. Denn den pro-britischen Unionisten ist die Regelung ein Dorn im Auge, weil sie eine Annäherung zwischen Nordirland und Irland fürchten.
Gove will Ausnahmen ausweiten
Der britische Premierminister Boris Johnson hatte die EU aufgefordert zu handeln, "um verbleibende Probleme bei der Implementierung des [Nordirland-]Protokolls zu lösen". Gove schlug in dem Brief an die EU-Kommission zusätzlich zur längeren Schonfrist vor, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme derselben auszuweiten, damit alle betroffenen lokalen Unternehmen und Dienstleister als zugelassene Händler anerkannt werden könnten. Sollte der britische Vorschlag abgelehnt werden, müsse die Regierung in London alle zur Verfügung stehenden Mittel in Betracht ziehen. Premierminister Boris Johnson brachte ins Spiel, notfalls auf Artikel 16 des Nordirland-Protokolls zurückzugreifen, der einseitige Schutzmaßnahmen ermöglicht.
Verschärft wurde der Konflikt auch zur den Impfstoffstreit zwischen Brüssel und London. Als der Konzern Astrazeneca der EU eine Lieferkürzung ankündigte, reagierte diese mit Exportauflagen für Impfstoff in Drittstaaten. Dabei standen zeitweise auch Kontrollen an der irischen Grenze im Raum. Die EU-Kommission erwog, dafür einen Notfallmechanismus - Artikel 16 des Nordirland-Protokolls - zu aktivieren. Nach Protesten aus Irland und Großbritannien nahm die Kommission dies zurück, muss aber weiter heftige Kritik einstecken. (apa/Reuters/dpa)