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EU-Sanktionen gegen Russland mit nur wenig Biss

Von Gerhard Lechner

Politik

Die EU straft wieder einmal Russland, der Kreml gibt sich aggressiv. Aber sind die Maßnahmen wirklich wirksam?


Es hat sich abgezeichnet. Nachdem Russland der Aufforderung der Europäischen Union nicht nachgekommen ist, Kreml-Kritiker Alexej Nawalny freizulassen, bringt die Gemeinschaft neue Sanktionen gegen Moskau auf den Weg. Am Montag haben sich die Außenminister der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel darauf geeinigt, mit den Vorbereitungen für neue Strafmaßnahmen zu beginnen. Vier russische Verantwortliche für das Vorgehen gegen Nawalny sollen mit Sanktionen belegt, Finanzmittel eingefroren und Einreiseverbote verhängt werden. Von Maßnahmen gegen Oligarchen im Umfeld von Präsident Wladimir Putin, wie etwa von Polen verlangt, war nicht die Rede.

Außenminister Alexander Schallenberg glaubt an die Wirksamkeit der Schritte. Wenn die Sanktionen zahnlos wären, hätte Russland nicht mit Drohungen geantwortet, sagte er Journalisten in Brüssel.

 

Ende der Beziehungen?

Tatsächlich hatte sich Russlands Außenminister Sergej Lawrow im Vorfeld des Treffens der EU-Minister mehr als nur verschnupft gezeigt und damit gedroht, im Falle neuer Sanktionen die Beziehungen Russlands zur EU abzubrechen. Der Kreml würde dann nur noch mit einzelnen EU-Staaten diplomatischen Umgang pflegen, die direkten Kontakte zur EU nach Brüssel würden bloß noch auf technischer Ebene weiterlaufen. Lawrows Drohung ließe an sich vermuten, dass die EU-Sanktionen, die bisher verhängt wurden, für Russland tatsächlich ein fundamentales Problem darstellen.

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Dem steht entgegen, dass das Land die Sanktionen bisher recht gut weggesteckt hat. "Einiges hat man durch Importsubstitution auffangen können, vor allem im Bereich der Landwirtschaft, wo es in den letzten Jahren starke Wachstumsraten gegeben hat", weiß der Politologe Gerhard Mangott zu berichten. Man habe sich andere Handelspartner gesucht, etwa die Türkei oder Staaten in Lateinamerika. Als Technologiepartner ist China eingesprungen.

Keine Verhaltensänderung

"Russland hat sich bis jetzt ziemlich widerstandsfähig gegenüber den westlichen Strafmaßnahmen erwiesen. Die Sanktionen haben seit 2014 zwar Wachstumsziffern gekostet, aber nur etwa 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) jährlich. Eine nennenswerte Größe ist das nicht", führt Mangott aus.

Auch politisch hätten die Maßnahmen nicht das gebracht, was sie hätten bringen sollen. "Eigentlich sollten Sanktionen ja einen Staat dazu bewegen, sein Verhalten zu ändern. Im konkreten Fall wäre das die Freilassung Nawalnys und die Aussetzung des Urteils gegen ihn. Das ist freilich etwas, was schlichtweg nicht passieren wird", analysiert Mangott. Warum? "Weil das innenpolitisch ein großer Sieg Nawalnys wäre, der in Freiheit für Putins System naturgemäß eine weit größere Bedrohung darstellen würde als in Haft. Und außenpolitisch wäre ein solcher Schritt eine Niederlage Russlands und ein Nachgeben gegenüber westlichem Druck."

 

"Russland wird sich äußerem Druck nicht beugen"

Das wäre freilich etwas, was Russlands Selbstverständnis als Großmacht entgegensteht und den ausgeprägten Stolz verletzt. "Die Vorstellung, dass sich Russland jemals äußerem Druck beugen wird, ist ziemlich absurd", erläutert Mangott. Er deutet Lawrows Ärger über die Sanktionen nicht als Ärger über deren materielle Auswirkungen, sondern als Unwillen der russischen Führung, Brüssel die Rolle des Oberlehrers zuzubilligen. "Lawrow hat mehrfach betont, dass man sich diese Haltung der EU nicht gefallen lassen würde, das Verhalten Russlands im Inneren und Äußeren mit Sanktionen zu kommentieren." Insofern wäre eine scharfe Reaktion Moskaus, etwa der Abbruch der Beziehungen, durchaus vorstellbar.

Wenn aber Sanktionen das Verhalten des Gegenübers nicht ändern können, bleibt nur noch eines: ein "Signaleffekt", wie ihn Mangott nennt. "Man signalisiert Missbilligung und sendet ein Zeichen an Drittstaaten aus, dass ein solches Verhalten ebenfalls Missbilligung fände." Dieser Effekt habe sich mit dem Reigen wirkungsloser Sanktionen mittlerweile freilich abgenutzt.

 

Zwei Selbstverständnisse kollidieren

Die EU hat im Umgang mit Russland gleich mehrere Probleme: Erstens einmal ist sie politisch überaus heterogen und kann sich nicht auf strengere Maßnahmen gegen Moskau, wie sie Polen und die baltischen Staaten wünschen, einigen. Zweitens sieht sie sich als Wertegemeinschaft, als Hüterin von Menschenrechten. Vorgänge wie die rund um Nawalny unkommentiert zu lassen, widerstrebt dem Selbstverständnis der EU so sehr, wie wenig Russland hinnehmen kann, dass es Anordnungen von Außen befolgen soll. Der Zusammenstoß ist programmiert.

Schuss ins Knie

Aber gäbe es nicht Maßnahmen, die Russland ernsthaft wehtun würden? "Natürlich könnte Brüssel starke Wirtschaftssanktionen verhängen, etwa russische Öl- und Gasexporte blockieren", sagt Mangott. "Da wäre der Schaden für die eigene Wirtschaft aber immens. Solche Sanktionen kann sich die EU nicht leisten", meint der Experte. Sie wären wohl auch moralisch fragwürdig, zumal alternative Lieferstaaten wie Saudi-Arabien, Katar oder Nigeria menschenrechtlich noch problematischer als Russland seien.