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Spanien zwischen Rapper und Referendum

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Die aktuellen Straßenproteste rund um die Verhaftung des Musikers Pablo Hasél lassen die Spannungen in der linken Regierungskoalition wachsen - der Katalonien-Konflikt ist wieder erwacht, und die Monarchie rückt ins Scheinwerferlicht.


Der Twitter-Beitrag brachte das Fass zum Überlaufen: "Meine volle Unterstützung für die jungen Antifaschisten, die Gerechtigkeit und freie Meinungsäußerung auf den Straßen fordern". Niemand Geringerer als Podemos-Sprecher Pablo Echenique hieß hier die gewalttätigen Straßenproteste gegen die Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél gut. Podemos sind immerhin Teil der Regierung.

Eine Sache sei es, die Demokratie und ideologische Grundsätze zu verteidigen. "Eine andere, ungenehmigte und gewalttätige Straßenproteste mit Verwundeten und Festnahmen anzuheizen", hielt Spaniens sozialistische Vize-Regierungschefin Carmen Calvo dem Fraktionssprecher des linkspopulistischen Koalitionspartners öffentlich entgegen. Indirekt warf sie der Partei von Pablo Iglesias vor, als Teil der spanischen Regierung nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben zu sein.

Bereits seit sechs Nächten in Folge halten die Proteste gegen die Verhaftung des Rappers Hasél das ganze Land, vor allem aber dessen Heimatregion Katalonien in Atem. Der Musiker wurde vergangene Woche wegen Majestätsbeleidigung, dem Aufruf zur Gewalt gegen Politiker und Polizisten, der Bedrohung eines Zeugen sowie eines tätlichen Angriffs auf einen Journalisten zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Tausende, hauptsächlich aus der linksextremen Szene stammende Jugendliche plündern seitdem im Kampf für die Meinungsfreiheit vor allem in Barcelona, aber auch in anderen Städten wie Madrid, Bilbao oder Granada Geschäfte, stecken Müllcontainer in Brand und liefern sich heftige Straßenschlachten mit der Polizei, die mit Tränengas und Schlagstöcken reagiert. Seit dem Wochenende wurden über hundert Demonstranten festgenommen. Eine Frau verlor durch ein Gummigeschoss der Polizei ein Auge.

Anstatt die Gemüter der Demonstranten und des sozialistischen Koalitionspartners zu beruhigen, gießt Podemos-Chef Pablo Iglesias allerdings noch Öl ins Feuer. Die Inhaftierung des Rappers sei ein Beweis mehr, dass in Spanien keine "komplette Demokratie" herrsche.

Selbstbestimmungsrecht

Bereits vor zwei Wochen brachte Iglesias die Sozialisten während der Wahlkampagne zu den katalanischen Regionalwahlen mit ähnlichen Aussagen nicht nur zur Weißglut, sondern auch in politische Bedrängnis. Iglesias unterstützte erneut das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen und bezeichnete die wegen des illegalen Unabhängigkeitsreferendums von 2017 inhaftierten Mitglieder von Carles Puigdemonts separatistischer Regionalregierung als "politische Gefangene". In einem Land, in dem Menschen wegen ihrer politischen Meinung ins Gefängnis müssten, könne nicht von einer "vollen Demokratie" die Rede sein. "Damit hat Iglesias unsere rote Linie überschritten", machten gleich mehrere Sozialisten ihrem Ärger Luft. Es handle sich nicht um "politische Gefangene", sondern um inhaftierte Politiker, die eine Straftat begangen hätten, sind sich die Sozialisten ausnahmsweise einmal mit den Konservativen einig. Sofort forderte Oppositionsführer Pablo Casado auch Premier Sánchez auf, Iglesias als zweiten stellvertretenen Regierungschef zu entlassen.

"Dazu wird es wohl kaum kommen. Sánchez führt mit Unidas Podemos eine schwache Minderheitsregierung an und im Parlament gibt es keine politische Alternativen", stellt Carlos Rico, Politologe an der Madrider Comillas-Universität, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" klar. Dennoch seien die ideologischen Spannungen zwischen den Koalitionspartnern am Limit.

Bei den Parlamentswahlen 2019 erklärte Sánchez noch, allein die Vorstellung einer Regierungskoalition mit den Linkspopulisten bereite ihm schlaflose Nächte. Im Jänner 2020 ging er dann trotzdem mit Unidas Podemos die erste Regierungskoalition in der Geschichte Spaniens ein. Zunächst ging auch alles gut. Doch seit Anfang des Jahres nehmen die Spannungen zu. Vor allem nachdem die Sozialisten im Gegensatz zu den Linkspopulisten bei den Regionalwahlen in Katalonien einen großen Wahlerfolg feiern konnten. "Podemos will mit Blick auf die linken Wähler ihr eigenes Profil wieder schärfen und sich noch mehr von den Sozialisten absetzen. Das wird noch zu großem Krach in der Regierung führen", meint Carlos Rico.

Systemkritiker im System

"Die Linkspopulisten kehren in letzter Zeit immer häufiger zu ihren Anti-System-Positionen zurück. Das Problem: Sie sind nicht mehr jene Empörten-Bewegung, aus der sie hervorgegangen sind, sondern repräsentieren nun als Regierungsmitglieder das System", gibt auch Politologe Pablo Simón zu bedenken. Als Beispiel nennt er die in der Verfassung festgelegte "parlamentarische Monarchie". Podemos spricht sich immer lauter für die Abschaffung dieser Staatsform aus. Mehr noch: Podemos-Politiker wollen die Monarchie komplett abschaffen. Vor kurzem brachten sie trotz der vorherigen Absage des sozialistischen Koalitionspartners im Parlament einen Antrag ein, mögliche Korruptionsdelikte und Steuerbetrugsfälle von Alt-König Juan Carlos zu untersuchen. Zusammen mit den Rechtspopulisten, Liberalen und Konservativen stimmten Podemos gegen ihren eigenen Koalitionspartner.

Mit Spannung darf erwartet werden, ob es am heutigen Dienstag erneut zu einer Zerreißprobe zwischen Sozialisten und der Linken kommt. Spanien feiert den 40. Jahrestag des gescheiterten Militärputsches gegen die damals noch junge Demokratie. Die Rolle von König Juan Carlos, die Amnestiegesetze und der Schweigepakt zwischen den großen Volksparteien, um 1978 einen friedlichen Übergang von der Franco-Diktatur zur Demokratie zu ermöglichen sind Zündstoff, um eine Explosion in der Regierungskoalition auszulösen.