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Keine Zeit für Experimente

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

In den Niederlanden ist die Krise trotz Protesten zu einem politischen Stabilisator geworden. Premier Rutte gilt als Favorit für eine weitere Amtszeit nach der Parlamentswahl nächste Woche.


Auf den Tag genau ein Jahr, nachdem das Land erstmals in den Lockdown ging, wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Um Andrang zu vermeiden, beginnen die eigentlich für den 17. März vorgesehenen Wahlen bereits am Montag. Zur Wahl stehen 37 Parteien. Nicht weniger als 15 könnten laut Umfragen ins Parlament in Den Haag einziehen. Außer Frage scheint ein weiterer Wahlerfolg der seit 2010 regierenden Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) von Premier Mark Rutte. Für die Rechtsliberalen, mit ihrem strikten Austeritätskurs ein bevorzugter Partner Wiens in der EU, wäre es der vierte in Serie.

Derzeit liegen sie bei etwa 38 der 150 Parlamentssitze - eine stattliche Zahl nach niederländischen Maßstäben. Mit großem Abstand folgen die rechtspopulistische Freiheitspartei (PVV) und die Christdemokraten mit 19 beziehungsweise 17 Sitzen. Sämtliche Parteien links der Mitte kommen laut Prognosen auf zehn bis 15 Prozent, darunter die vor vier Jahren abgestürzte Arbeitspartei (PvdA).

Regierung Rutte ist derzeit nur kommissarisch im Amt

Dieses Gesamtbild überrascht, da Ruttes letzte Mitte-rechts-Regierung im Jänner nach einem Kindergeld-Skandal geschlossen zurücktrat und seither nur kommissarisch im Amt ist. Auch der späte Impfbeginn und logistische Pannen bei der Virus-Bekämpfung brachten ihr herbe Kritik ein. Kurz darauf eskalierten zudem Proteste gegen die Corona- Maßnahmen und vor allem die Ausgangssperre. An der gewaltsamen Dynamik entzündeten sich schwere Krawalle in zahlreichen Städten. Überschattet wird all dies freilich von der Rolle als Krisenmanager, die vor allem Rutte seit dem Pandemie-Beginn ausfüllt. Just in der Phase starker Verunsicherung während des ersten Lockdowns stieg die Zustimmung zur VVD stark an. "Die Corona-Krise liegt wie eine verschleiernde Decke über allen Themen. Den Wählern geht es nicht unbedingt um den Ansatz in der Corona-Krise, sondern eher um die Frage, wem sie in dieser die Führung anvertrauen", zitierte die Zeitung "Volkskrant" unlängst den Meinungsforscher Peter Kanne vom Institut I&O Research.

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Ausdruck dieser Konstellation ist ein Wahlkampf, der sich nicht nur weitestgehend online abspielt - mit Ausnahme des verschwörungsaffinen Rechtsextremen Thierry Baudet (Forum voor Democratie), der demonstrativ durch das Land zieht - sondern sich auch inhaltlich um das eine Thema dreht: Wie die Niederlande am besten durch die anhaltende Pandemie lotsen? Die drohende Klimakatastrophe macht sich zwar, wie auch Fragen zu Gesundheit und Bildung, durchaus inhaltlich bemerkbar. Der Tierschutzpartei (PvdD) dürfte dieses Umfeld gar zum besten Ergebnis ihrer Geschichte verhelfen, doch Corona dominiert. Bemerkenswert ist, das die künftigen Verteilungskonflikte und finanziellen Einschnitte dabei noch nicht thematisiert werden. Selbst die überaus marktfreundliche VVD, die gerne eine "Beteiligungsgesellschaft" und Eigeninitiative propagiert, setzt heuer auf Investitionen und verspricht den Wählern, die inzwischen bereits wieder seit drei Monaten in einem strengen Lockdown leben, "einen starken Staat, der manchmal in die Wirtschaft eingreift".

Corona-Pandemie ist das beherrschende Thema

Auch die jüngste von Ruttes "Pressekonferenzen" - eigentlich handelt es sich um live ausgestrahlte Zusprachen an die Nation - war vor allem ein Appell zum Durchhalten, die Verlängerung der Schutzmaßnahmen bis Ende März, aber auch Hoffnung auf den nahenden "Wendepunkt" dank der Impfkampagne, die vielleicht gerade rechtzeitig in Schwung gekommen ist. Zu Beginn des Sommers, so der Regierungschef, könne jeder, der wolle, die erste Impfung erhalten haben. Womöglich ist Ruttes Auftreten als Krisenmanager die Rolle seiner politischen Laufbahn. Um ihn darin weiterhin zu bestätigen, werden die Niederländer auch während der Wahltage mit allerlei neuen Prozeduren konfrontiert: In jedem Lokal ist ein Helfer dafür zuständig, dass eineinhalb Meter Abstand eingehalten werden und die Abstimmenden sich die Hände waschen. Eine Gesichtsmaske ist obligatorisch, Tische und Urnen werden regelmäßig gereinigt.

Eine letzte Unwägbarkeit könnte der Urnengang unter diesen Umständen bereithalten: die Wahlbeteiligung. Ist sie, etwa aus Furcht vor einer Ansteckung, niedrig, kann dies das Ergebnis durchaus beeinflussen. Fest steht derweil, dass angesichts des fragmentierten Parteienspektrums die Bildung einer Koalition in Den Haag auch diesmal arithmetisch komplex wird.