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Merkel und die Ministerpräsidenten: Dissonanter Chor der 17 Stimmen

Von Alexander Dworzak

Politik
Zumeist per Videokonferenz sprechen sich Merkel (hier mit Berlins Bürgermeister Müller) und die Länderchefs ab.
© reuters / Guido Bergmann

Die Runde von Kanzlerin Merkel mit den Chefs der 16 deutschen Landesregierungen wird zusehends zum Problem in der Corona-Krise.


Es geht abwärts, und zwar in rapidem Tempo. Auf nur noch 26 Prozent kommen die deutschen Konservativen in der letztverfügbaren Umfrage der Demoskopen von Forsa vom Mittwoch. Dabei lagen CDU und CSU noch zu Monatsbeginn zwischen 32 und 34 Prozent.

Es könnte sogar noch schlimmer stehen, denn die Umfrage wurde vor dem Desaster um den Oster-Lockdown durchgeführt. Nach stundenlangen Verhandlungen hatten sich Merkel und die 16 Landeschefs in der Nacht auf Dienstag auf eine "Osterruhe" geeinigt. Diese wurde am Mittwoch aufgrund von Rechtsunsicherheiten wieder zurückgenommen. Fast 70 Prozent der Bürger haben seitdem weniger Vertrauen in die Corona-Politik von Bund und Ländern, ergab eine Blitzumfrage für den "Spiegel".

Es war nicht die erste gravierende Fehleinschätzung, die Merkel und die Länderchefs in der sogenannten Ministerpräsidentenkonferenz getroffen haben. Dass sich der März zum konservativen Katastrophenmonat entwickelt hat, liegt auch an den Anfang des Monats getroffenen Beschlüssen. Nach großem öffentlichen Druck, die Beschränkungen zu lockern, wurde ein Plan mit mehreren Öffnungsschritten bekanntgegeben - trotz Warnungen vor der dritten Infektionswelle. Kanzlerin und Ministerpräsidenten verwarfen bei dieser Gelegenheit auch die erst drei Wochen zuvor eingeführten und schärferen Grenzwerte bei Neuinfektionen. Ein Erfolg der Corona-Politik gegenüber den Bürgern ging verloren, die klare Kommunikation der Inzidenzzahl von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern als Orientierungspunkt für Lockerungen.

Zum Sinkflug in den Umfragen beigetragen haben auch die Maskenaffäre um Provisionen für Unions-Bundestagsabgeordnete, die CDU-Pleiten bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie die chronischen Probleme beim Testen und Impfen. Nun droht Merkel Unternehmen mit Auflagen für zweimaliges Testen der Mitarbeiter pro Woche, sollten nicht rund 90 Prozent die bisherige Selbstverpflichtung erfüllen. Und erst ein knappes Zehntel der Bürger hat die erste Dosis eines Corona-Vakzins erhalten. Damit liegt Deutschland sowohl unter dem EU-Schnitt von 11,3 Prozent als auch Österreichs Wert von 13,5 Prozent. "Impfen, impfen, impfen" gab Merkel als Devise aus. Auch in Arztpraxen soll das passieren, jedoch erst ab übernächster Woche. Tempo, Tempo, Tempo sieht anders aus.

Nein zu Abgeordneten statt Ministerpräsidenten

Im föderal organisierten Deutschland sind die Unterschiede im Infektionsgeschehen beträchtlich. Schleswig-Holstein verzeichnet nur knapp 60 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern, beim derzeitigen Schlusslicht Thüringen sind es 220. Weit auseinander liegen oft auch die Vorstellungen der von CDU, CSU, SPD oder Grünen geführten Bundesländer, welche Corona-Maßnahmen ergriffen werden sollen. Weil die Länder großteils für Infektionsschutz zuständig sind, kann Merkel nicht - wie in der Bundesregierung gewohnt - dank ihrer Richtlinienkompetenz durchregieren.

Umso größere Bedeutung kommt der Ministerpräsidentenkonferenz in der Pandemie zu. Die verunglückte "Osterruhe" beschlossen Merkel und die Landeschefs gemeinsam. Dass niemandem, auch nicht im Mitarbeiterstab, die rechtlichen Probleme auffielen, erstaunt bei der geballten Erfahrung in der Runde. Beobachter führen die Verhandlungen bis tief in die Nacht und mögliche Übermüdung ins Treffen. Doch gerade Merkel ist für ihr Sitzfleisch bekannt, das sie bei vielen zähen EU-Gipfeln unter Beweis gestellt hat.

Überschaubare Freude herrscht zuweilen unter Bundestagsabgeordneten mit der Ministerpräsidentenkonferenz. Zwar ist die Corona-Politik regelmäßig Gegenstand im Parlamentsplenum. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble legte aber den Fraktionen im Herbst Vorschläge für eine stärkere Beteiligung an Entscheidungen zur Pandemie-Bekämpfung vor. Forderungen, Merkel möge statt der Ministerpräsidentenkonferenz im Bundestag Maßnahmen entscheiden, wies die Kanzlerin diese Woche zurück.

Wider die Tatsachen übernahm sie die alleinige Verantwortung für die Oster-Lockdown-Misere. Damit erwies Merkel, die bei der Bundestagswahl im Herbst nicht mehr antritt, zwar den Länderchefs von CDU/CSU einen Dienst. Aber zugleich beschädigt sich Merkel selbst, die von den Bürgern zu Beginn der Pandemie bis in den Herbst mit großem Vertrauen ausgestattet worden war.

Eine Alternative, wie das Infektionsgeschehen stattdessen eingedämmt werden kann, haben weder Kanzlerin noch Ministerpräsidenten parat. Merkel verwies auf regionale Ausgangsbeschränkungen und die bereits seit Anfang März bestehende "Notbremse"; eine Rücknahme von Lockerungen in Regionen, wo es über 100 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen gibt. Damals war die Corona-Lage deutlich besser, die landesweite Inzidenz lag unter 70. Mittlerweile ist es 120.