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Das Ende des dritten Weges in Frankreich

Von WZ-Korrespondentin Lisa Louis

Politik
In Frankreich blieben die Schulen deutlich länger offen als in den meisten anderen Ländern Europas. Nun sind auch sie geschlossen worden.
© reuters / Gonzalo Fuentes

Angesichts in die Höhe schnellender Infektionszahlen hat Präsident Macron den "Lockdown light" auf ganz Frankreich ausgeweitet und die Schulen geschlossen. Es ist ein Eingeständnis, dass seine Strategie nicht ausreichend wirkt.


Präsident Emmanuel Macron hat dem Druck nachgegeben, der in den vergangenen Tagen immer stärker geworden war. Ärzte hatten Alarm geschlagen, dass die Zahl der Intensivpatienten weiter steige - und diese immer jünger zu werden scheinen. Politiker hatten gefordert, die Schulen zu schließen, weil sich die Infektionen dort vervielfachten; Lehrer waren in den Ausstand getreten. Die Regierung weitet daher bestehende Beschränkungen aus, um die exponentiell wachsende Kurve der Neuinfektionen zu bremsen. Doch sie baut dabei stark auf die Selbstdisziplin der Franzosen - eine riskante Strategie.

"Während Nachbarländer wie Deutschland vor vier Monaten wieder in den Lockdown gegangen sind, (...) haben wir wertvolle Tage der Freiheit und der Bildung für unsere Kinder gewonnen", rechtfertigte Macron in seiner Rede am Mittwochabend die Entscheidung, anders als von vielen Experten gefordert, Ende Jänner keinen neuen Lockdown zu verhängen. Der Präsident hatte einen "dritten Weg" gewählt, der auch auf einer landesweiten nächtlichen Ausgangssperre beruhte. Nun aber seien zusätzliche Maßnahmen nötig - auch wegen der sehr viel ansteckenderen britischen Covid-Variante, so Macron. Einen Monat lang wird in ganz Kontinental-Frankreich - und nicht nur in einem Drittel des Landes, wie seit einigen Wochen - ein "Lockdown Light" gelten: Sogenannte nicht-essenzielle Geschäfte müssen schließen, Reisen zwischen den Regionen sind verboten. Zudem werden die Schulen für mehrere Wochen zu sein.

Damit weicht Macron von einer Linie ab, auf die die französische Regierung doch so stolz war. Das Land hatte seine Schulen seit Beginn der Epidemie weniger lang als andere europäische Länder geschlossen - laut Unesco nur zehn Wochen im Vergleich zu fast 24 Wochen in Deutschland. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer hatte eine Schulschließung als "letzten Ausweg" bezeichnet: "Die Jugend braucht Zugang zum Bildungssystem", war die Begründung.

Massive Schul-Cluster

Diesen Offenhalten-Kurs hatte die Regierung bis zuletzt beibehalten - trotz trauriger Beispiele wie im Gymnasium Eugene-Delacroix im Pariser Vorort Drancy. Dort seien seit Beginn der Pandemie schon 20 Elternteile gestorben, schrieben die Lehrer in einem offenen Brief an Macron, in dem sie in der Vorwoche die sofortige Schulschließung forderten. Seit Anfang März hätten sich bereits mehr als 50 Schüler und 20 Lehrer angesteckt. In mindestens 48 Klassen gebe es einen Kontaktfall oder mehrere davon. Am Montag hatte die Regierung dann angeordnet, dass in den 19 bisher vom "Lockdown light" betroffenen Departements Klassen zumachen müssten, sobald auch nur ein Schüler - und nicht drei, wie zuvor - positiv auf Covid-19 getestet wird. Allein in Paris hat sich auf diese Weise innerhalb eines Tages die Anzahl der geschlossenen Klassen auf 722 verdreifacht.

Macron konnte solche Zahlen nicht länger ignorieren. Im Land liegt die Inzidenz inzwischen bei besorgniserregenden 380 Infektionen pro 100.000 Einwohner pro Woche, in manchen Departements gar bei rund 800 - im Vergleich zu etwa 250 in Österreich. Ärzte berichten, dass die Intensivstationen in der Pariser Region schon zu 130 Prozent ausgelastet sind, und fürchten, sich bald um 3.500 Patienten kümmern zu müssen. Das wären dreimal so viele wie jetzt und 800 Patienten mehr als auf dem Höchststand der bisher stärksten ersten Welle im Frühjahr 2020. So wäre bald eine Triage der Patienten nötig, fürchten die Ärzte.

Gegen diese besonders starke Welle hat Macron dennoch die Methode des "Lockdown light" gewählt. Menschen sollen sich im Freien aufhalten, weil die Ansteckungsgefahr dort geringer sei. Das macht es aber auch schwerer, das Abstandhalten zu kontrollieren. Jedenfalls im Vergleich zu den ersten zwei Lockdowns, als das Haus nur in einem Radius von einem - und nicht wie jetzt zehn - Kilometer und auch nur für eine Stunde nicht ohne Zeitlimit verlassen werden durfte. Macron baut so auf die Eigenverantwortung der Menschen. Doch ob die neuen Maßnahmen ausreichen werden, muss sich erst zeigen. Rund die Hälfte der Franzosen wollen sich laut jüngsten Umfragen nicht an die Auflagen halten.