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Geöffnete Pubs - ein Stück Normalität in Britannien

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Mit seinen Massenimpfungen und drei Monaten Lockdown hat sich Großbritannien auf erstaunliche Weise erfangen. Am Montag öffneten wieder alle Geschäfte und die Gastgärten der Pubs - und überall wächst die Zuversicht.


Etwas wärmer hätte man es sich in England diese Woche ja gewünscht, um erstmals wieder auszugehen und draußen zu sitzen. Fröstelnd im kalten Wind und in Erwartung neuer Schauer, traten viele Menschen auf der Insel am Montag eher zögernd vor die Tür. Und doch wollten sich alle, die so lange auf diesen Tag gewartet hatten, die Freude an der "neuen Freiheit" nicht nehmen lassen. Denn seit gestern sind sämtliche Geschäfte wieder geöffnet im Lande. In Kaufhäuser darf man gehen und sich vom Friseur die Haare schneiden lassen. Schwimmbäder, Fitness-Studios und Ferienwohnungen sind wieder in Betrieb.

Vor allem aber dürfen Restaurants und Bars ihre Kundschaft, zunächst im Freien, wieder bewirten. Zum ersten Mal seit über drei Monaten servieren Englands Pubs wieder ihre begehrten Pints. Reger Verkehr herrschte am Montag in allen Gastgärten. Gaststätten sind auf Monate hin ausgebucht. Zwar müssen 60 Prozent der Gastronomiebetriebe noch mindestens bis Mitte Mai geschlossen bleiben, weil sie keine geeigneten Plätze zur Bewirtung draußen haben. Und einige Beiseln haben in der Pandemie ihre Türen für immer geschlossen, wie zahllose Geschäfte und Handelsketten auch. Aber die "überlebenden" Pubs haben sich fieberhaft auf die Wiedereröffnung vorbereitet - auch wenn sie auf den Premierminister etwas länger warten müssen, der eigentlich am Montag in einem Pub-Garten hatte sitzen wollen, seinen Besuch wegen des Todes von Prinz Philip nun aber verschoben hat.

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Immerhin bekundete Boris Johnson seine Freude über diesen "größeren Schritt nach vorn auf unserem vorgezeichneten Weg zur Freiheit". "Unumkehrbar" solle diese Aufhebung von Restriktionen sein und den Menschen in England "eine Chance geben, wieder Dinge zu tun, die wir geliebt und schmerzlich vermisst haben", sagte er. Als nächster Schritt ist die Erlaubnis erneuter Zusammenkünfte in Innenräumen vom 17.Mai an und als übernächster die Abschaffung so gut wie aller Restriktionen zum 21.Juni vorgesehen. Dazu werde es aber nur kommen, mahnte Johnson seine Mitbürger, wenn sich jeder in nächster Zeit "vorsichtig und verantwortungsbewusst" verhalte.

Infektionen stark gesunken

In der Tat steht die neue britische Zuversicht in bemerkenswertem Gegensatz zur Lage auf der anderen Seite des Ärmelkanals, wo man sich vielerorts gegen die Wucht einer dritten Covid-Welle wehren muss. Immerhin wurden zu Wochenbeginn im Vereinigten Königreich weniger als 2.000 Neuinfektionen pro Tag und nur noch sieben neue Todesfälle gemeldet. So niedrig war die Zahl der Opfer seit Mitte September nicht mehr. Mit mindestens einer Dosis sind mittlerweile mehr als 32 Millionen Menschen - fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung - geimpft worden. Über 7,5 Millionen dieser Geimpften haben auch ihre Zweitdosis erhalten. Mehr als eine halbe Million Dosen werden derzeit jeden Tag gespritzt. Auch Wissenschafter auf der Insel hoffen, dass damit günstigere Ausgangsbedingungen für den Sommer geschaffen wurden. Freilich schließen sie eine weitere Welle nicht grundsätzlich aus.

Für die skeptischeren Experten kam schon Johnsons Öffnung diese Woche zu früh. "Wir dürfen nicht vergessen, dass es noch immer eine große Zahl von Personen gibt, die sich bisher nicht angesteckt oder keine Impfung erhalten haben", gab Professor Peter Hornby, einer der prominenten Covid-Fachleute, zu bedenken. "Irgendeine Art von Rückschlag" müsse man im Zuge der Lockerung des Lockdowns zweifellos erwarten: "Auch wenn wir nicht wissen, wann das kommt und wie groß es sein wird."

Solche Warnungen mögen Wirte und Geschäftsführer lieber nicht hören, die sich nun eine rasche Ankurbelung der Wirtschaft erhoffen. Die Hoffnungen richten sich auf die fast 200 Milliarden Pfund, die britische Haushalte seit Beginn der Pandemie angespart haben sollen. Allein für diese Woche rechnet man mit einem Konsumhunger, der mehr als 300 Millionen Pfund in Umlauf bringen könnte. Geradezu ein "Hochschnellen der Sprungfeder" der heimischen Ökonomie sieht die Bank von England voraus.

Arbeitslosigkeit droht

Kaum beteiligt an einem solchen Aufschwung wäre freilich der ärmste Teil der Bevölkerung - jene Leute, die in der Pandemie wegen Jobverlusten oder generell geschrumpfter Einnahmen ihre Ersparnisse haben aufbrauchen müssen. Berechnungen des Thinktanks "Neue Wirtschafts-Stiftung" zufolge droht überdies 850.000 Menschen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Lohnabbau, sobald zum Ende des Sommers die staatliche Unterstützung abgestellt wird. Immerhin ist die Arbeitslosigkeit in Großbritannien bisher weniger steil angestiegen, als noch im Vorjahr befürchtet wurde. Sie liegt derzeit bei 1,7 Millionen oder rund 5 Prozent.