Dass Emmanuel Macron ein Abbild des Durchschnittsfranzosen ist, lässt sich nicht gerade behaupten - es ist ja oft das Problem des ehemaligen Eliteschülers, Ex-Bankers und politischen Turbo-Aufsteigers, allzu abgehoben zu wirken. In einer Sache aber nähert er sich der Mehrheit der Bürger an, nämlich mit seinem demonstrativen Desinteresse für die gerade abgehaltenen Regionalwahlen.

Zwei von drei Franzosen haben sich enthalten. Und auch Macron tut so, als betreffe ihn die Abstimmung nicht, die für seine Partei La République en marche (LREM) desaströs ausgegangen ist mit landesweit 7 Prozent. Schlüsse auf nationaler Ebene, das ließ er schon davor wissen, werde er nicht ziehen. Die Umfragewerte des Präsidenten sind zuletzt wieder auf 50 Prozent gestiegen. Zweifellos profitiert Macron von der Freude der Franzosen über das Ende der Ausgangsbeschränkungen.

Magere Bilanz nach großem Versprechen

Trotzdem ist die scheinbare Gelassenheit neun Monate vor der nächsten Präsidentschaftswahl wohl nur gespielt. Längst wird spekuliert, was Macron in der ihm verbleibenden Zeit noch vorhat - vor allem hinsichtlich der Großprojekte, die von der Coronavirus-Pandemie ausgebremst worden waren. Zum einen ist hier die Pensionsreform zu nennen, gegen die es ab Herbst 2019 monatelange Proteste gegeben hatte und die endlich fast beschlossen war, als das Virus zuschlug. Zum anderen die Arbeitslosenreform, die die vergleichsweise großzügigen Ansprüche von Arbeitssuchenden reduzieren sollten, damit der Anreiz, einen Job zu finden, steigt.

Macron hatte sich für sein Image eines modernen Reformers und das Versprechen eines "tiefgreifenden Wandels" wählen lassen, doch seine Bilanz in dieser Hinsicht ist mager. Schlimmer noch, das Defizit und die Staatsverschuldung stiegen während seiner Amtszeit massiv an. Deshalb könnte er tatsächlich versuchen, die Pensionsreform in abgespeckter Form noch umzusetzen. Aber statt die 42 verschiedenen Pensionskassen in ein einheitliches Punktesystem zu überführen, dürfte er zunächst nur die Regelaltersgrenze von 62 auf 64 Jahre verschieben.

Allen Präsidenten, die das Pensionsantrittsalter erhöhen wollten, wehte in der Vergangenheit ein Sturm der Entrüstung entgegen. Eine erneute Lahmlegung des Landes wie 2019 kann sich Frankreich nach einem Jahr Pandemie nicht leisten. Und für Macron, der ab Herbst in den Wahlkampf eintritt, wäre das höchst riskant - ebenso wie politische Bewegungslosigkeit. Viel politisches Fingerspitzengefühl ist also gefragt.

Bisher kam es Macron entgegen, dass der rechtsextreme Rassemblement National (RN) seit Jahren stark, aber nicht zu stark abschneidet. Sein Kalkül: Solange die Rechtspopulistin Marine Le Pen seine Hauptgegnerin bleibt, hat er hohe Chancen auf die Wiederwahl, denn eine Mehrheit der Franzosen lehnt Le Pen an der Spitze des Landes ab. Nun aber erlitt der RN einen Dämpfer, konnte seine Wähler nicht mobilisieren und erst recht keine neuen dazugewinnen.

Zugleich wächst das Selbstbewusstsein der Sozialisten und vor allem der Republikaner, die bei den Regionalwahlen siegten. Speziell ein Mann könnte Macron gefährlich werden: Der Bürgerlich-Konservative Xavier Bertrand, der schon Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsminister war, gewann die Region Hauts-de-France im Norden des Landes überraschend eindeutig für sich. Eigentlich ist es eine stark von der Desindustrialisierung mitgenommene Bastion des RN. Dem wusste Bertrand zu begegnen, indem er bewusst die "kleinen Leute" ansprach und auf soziale Themen setzte.

Damit könnte er Schule machen, denn Bertrand will für die Republikaner bei der Präsidentschaftswahl antreten. Allerdings hat er die Partei vor einigen Jahren aus Protest gegen den sehr rechtslastigen Kurs des damaligen Parteichefs Laurent Wauquiez verlassen. Auch Wauquiez hat gerade bei der Regionalwahl einen Erfolg verbucht und ebenfalls Ambitionen auf die Kandidatur. Der Wahlkampfherbst in Frankreich könnte spannender und überraschender werden als gedacht.