Zum Hauptinhalt springen

EU-Bürger für neue Regeln bei Migration

Von Walter Hämmerle

Politik
Einer europäischen Antwort auf Migrationsfragen sehen viele EU-Bürger mit gemischten Gefühlen entgegen (im Bild EU-Parlament).
© Europäisches Parlament

Umfrage: Jeder Zweite befürwortet gemeinsame Verantwortung von Staat und EU bei Asyl und Zuwanderung.


Europas Bürger haben klare Ansprüche an die EU, und zu oft bleibt die Union in den Augen vieler Menschen hinter diesen hochgesteckten Erwartungen zurück. Dieses Bild zeichnet eine groß angelegte Studie für Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen und Österreich, die von Euroskopia, einem Zusammenschluss der wichtigsten Meinungsforschungsinstitute in der EU, im Sommer erstellt wurde.

Dabei zeigt sich, dass die Bürger ein gutes Gespür dafür haben, was es braucht, um bestehende Probleme anzugehen und nicht nur so zu tun, als ob. Das lässt sich gut am Beispiel des Migrationsthemas nachzeichnen, wo die Kompetenzen national gebündelt sind. Dass sich damit keine Lösungen für eine gesamteuropäische Herausforderung finden lassen, zeigt die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre. Entsprechend sind nur 22 Prozent der Befragten in den sechs Staaten dafür, Migrationsfragen hauptsächlich national zu entscheiden; in Österreich und Polen sind es knapp unter beziehungsweise über 30, in Spanien und Italien sogar nur 10 und 16 Prozent. Kaum mehr, nämlich 28 Prozent, wollen die Frage allein auf EU-Ebene entscheiden (in Österreich und Polen 20, in Italien und Spanien mehr als 35 Prozent); dafür plädiert jeder Zweite für gemeinsame Entscheidung von EU und Nationalstaat bei Migration.

Checks & Balances

"Die Menschen verstehen, dass das hochkomplexe Thema Migration weder Österreich noch sonst ein EU-Land allein bewältigen kann und dass es dafür auch die EU-Ebene benötigt; für eine alleinige Zuständigkeit der EU reicht jedoch das Vertrauen in ‚Brüssel‘ nicht aus", sagt Michael Nitsche, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Gallup, das die Umfrage in Österreich durchgeführt hat. Eine Form von Checks & Balances in einem zusammenwachsenden Europa, wobei "mehr Europa" durchaus erwünscht ist, nur eben nicht "EU-only". Kaum Unterstützung gibt es für eine verpflichtende Verteilung von Migranten aus Afrika auf die EU-Staaten, nur 18 Prozent sprechen sich dafür aus. Stattdessen unterstützen 43 Prozent Wirtschaftshilfen für Afrika (in Polen 66, in Österreich 50, in Italien und Frankreich 30 Prozent), für schnelle Abschiebungen illegal Eingereister sind 27 Prozent (in Polen nur 8, in Deutschland und Österreich rund 40 Prozent).

Angesichts der Unterstützung und Akzeptanz für eine gemeinsame Migrationspolitik von europäischer und nationaler Ebene - und sei es zum Zwecke der gegenseitigen Kontrolle - erstaunt die Skepsis gegenüber dem gemeinsamen europäischen Wiederaufbaufonds, der bei der Bewältigung der Corona-Folgen helfen soll.

Mit fast 70 Prozent fällt die Unterstützung ausgerechnet in Polen besonders deutlich aus, dann folgen Spanien, Italien und Österreich mit knapp über beziehungsweise unter 40 Prozent; die beiden EU-Führungsmächte Deutschland (35) und Frankreich (30) bilden hier die durchaus bemerkenswerten Schlusslichter; hier und in Österreich liegen die Befürworter eines rein nationalen wirtschaftlichen Wiederaufbauplans bei knapp über bzw. unter 45 Prozent.

EU-freundliche Polen

"Die polnischen Bürger sind erheblich europafreundlicher eingestellt, als es die prononciert EU-kritisch eingestellte nationalkonservative Regierung in Warschau vermuten lassen würde", erläutert dazu Gallup-Chef Nitsche.

Ein Alleinstellungsmerkmal hat Österreich, wenn es um die gemeinsame Schuldenaufnahme zur Finanzierung des "Recovery Plan" geht: Nur hier spricht sich eine relative Mehrheit (43 zu 38 Prozent) gegen die Vergemeinschaftung der Schulden aus, in allen anderen befragten Staaten überwiegen die Befürworter.

Ein strukturelles Problem für alle diejenigen, die eine immer engere Union anstreben, ist - neben allen sachlichen Hürden - die geringe Bekanntheit sogar der wichtigsten EU-Spitzenkräfte. An der Spitze liegt hier die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die durchschnittlich 65 Prozent kennen, in Frankreich allerdings nicht einmal 45 Prozent; auf Rang zwei liegt mit 55 Prozent Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, wobei sie in ihrer Heimat Frankreich 75 Prozent kennen, in Polen dafür keine 15 Prozent; den Belgier Charles Michel, Präsident des EU-Rats, kennt nur jeder Vierte, den Italiener David-Maria Sassoli, den Präsidenten des EU-Parlaments, gerade einmal jeder Fünfte.