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Dutzende Schutzsuchende - Polen rollt Stacheldraht aus

Von Martyna Czarnowska und Gerhard Lechner

Politik

Der Grenzstreit zwischen Polen und Weißrussland erhält vor dem Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan eine zusätzliche Dimension.


Der Stacheldraht wird schon ausgerollt. Nach den Wünschen der polnischen Regierung soll es nun schnell gehen mit der Abriegelung: Die gut 400 Kilometer lange Grenze zu Weißrussland wird mit einem hohen Zaun befestigt. Mehrere Kilometer seien es bis Freitag geworden, berichtete Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak per Kurznachrichtendienst Twitter. Bis dahin hatte er schon fast 1.800 Soldaten in den Osten des Landes geschickt - um ein Stück Grenze zu bewachen, die bisher streckenweise nur durch ein paar Schilder gekennzeichnet war. Und um ein paar Dutzend Menschen am Betreten des polnischen Territoriums zu hindern.

Denn seit Wochen stecken rund 30 afghanische Flüchtlinge zwischen den Nachbarstaaten fest. Polnische Grenzschützer hindern sie am Weiterkommen, weißrussische am Zurückgehen. Hilfsorganisationen klagen, sie hätten keinen Zugang zu den Menschen, um sie mit dem Nötigsten zu versorgen. Katholische Kirchenvertreter appellierten an die Politik. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rief Polen vor wenigen Tagen dazu auf, den Gestrandeten Unterstützung zu gewährleisten.

Doch an Einlass für die Menschen denkt die Regierung in Warschau nicht. Stattdessen wehre sie sich laut Minister Blaszczak gegen das "schmutzige Spiel", das Alexander Lukaschenko betreibt. Der weißrussische Machthaber hatte Ende Mai angekündigt, dass sein Land Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die Europäische Union hindern werde - als Reaktion auf verschärfte westliche Sanktionen gegen die ehemalige Sowjetrepublik.

Zunächst hatte das Litauen zu spüren bekommen, wo tausende Migranten aus dem Nahen Osten die Grenze überquert hatten. Danach ging die Route ebenfalls nach Polen.

Politologe ortet Risiko bewaffneter Zwischenfälle

Dass aber Lukaschenko die Einwanderungswilligen "engagiert" hat, glaubt der weißrussische Politologe Artjom Schraibman nicht. Der Machthaber "hat die Migration über Belarus zugelassen und organisiert, aber er hat die Einwanderer beispielsweise nicht bezahlt - im Gegenteil: Diese Flüchtlinge geben weißrussischen und anderen Firmen Geld dafür, dass sie auf EU-Gebiet gebracht werden. Es ist also eher umgekehrt: Lukaschenko und weißrussische Tourismusanbieter verdienen damit Geld", analysiert der Gründer der Denkfabrik "Sense analytics" in Minsk.

Litauen und Polen haben den Zwist bereits auf EU-Ebene gehoben, in der Vorwoche widmeten sich die Innenminister der Mitgliedstaaten in einer Sondersitzung dem Thema. Ein Einlenken gegenüber Minsk stand dabei nicht zur Debatte.

"Lukaschenkos Agieren wird wohl eher gegenteilige Effekte habe", sagt Schraibman der "Wiener Zeitung": "So könnten etwa die Sanktionen noch verschärft werden. Und in der EU wird Lukaschenko wohl auch bei Wohlmeinenden die letzten Sympathien verlieren. Am Ende wird er als eine Art osteuropäischer Muammar Gaddafi (libyscher Ex-Machthaber) wahrgenommen werden."

Ungefährlich sei die Situation dennoch nicht. Der Politologe ortet etwa das Risiko von Grenzzwischenfällen - auch bewaffneten. Lukaschenko sei nämlich "an einer weiteren Eskalation sehr interessiert".

Der Migrationsstreit hat aber mittlerweile vor dem Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan eine zusätzliche Dimension erhalten. Während die EU-Staaten erneut das Ob und Wie der Aufnahme von Flüchtlingen debattieren, will Polen zeigen, dass es die Außengrenze der Union zu verteidigen weiß. Allein im August hätten nach Aussagen des Grenzschutzes mehr als 3.000 Menschen versucht, illegal die polnisch-belarussische Grenze zu passieren.

Polen hat bereits vor sechs Jahren zu jenen Ländern gehört, die einen verpflichtenden Schlüssel zur Verteilung von Asylwerbern in der Union abgelehnt hatten. Auch jetzt setzt die nationalkonservative Regierung auf Härte in der Migrationspolitik.