Wien/Brdo. Es sind politische Extremereignisse, die die Schwäche der EU im militärischen Bereich offenbaren. Wie das jüngste Drama in Kabul, wo die EU bei den Evakuierungsflügen aus der Stadt auf die Hilfe der USA angewiesen war. Der Rückzug der US-Truppen zwang die EU-Staaten, ihre Einheiten ebenfalls vorzeitig im Eiltempo zurückzuholen - weil man ohne "großen Bruder" nicht handlungsfähig gewesen wäre.
Nun mehren sich wieder die Stimmen, die eine Verstärkung der militärischen Komponente in der EU fordern. "Jetzt ist die Zeit zu handeln", so General Claudio Graziano, Chef des EU-Militärausschusses im slowenischen Brdo. Dort kamen am Donnerstag die EU-Außen- und Verteidigungsminister zusammen, um dieses Thema zu debattieren.
Die Ereignisse in Afghanistan, aber auch in Nahost und der Sahelzone würden seine Forderung unterstreichen, so Graziano. Erforderlich sei eine schnelle Eingreiftruppe der EU von 5.000 Soldaten, um die Abhängigkeit Europas von den USA zu mindern. Die EU müsse ein "globaler strategischer Partner" sein, "wann, wenn nicht jetzt?"
Der Plan zum Aufbau einer schnellen Eingreiftruppe liegt schon seit Jahren in den Brüsseler Schubladen. Lahmgelegt ist das Projekt durch unterschiedliche Auffassungen bei der Finanzierung sowie eine Scheu, dass die EU tatsächlich militärisch aktiv wird. Und immer wieder wird die Warnung geäußert, dass man die transatlantische Verbindung zu den USA im Rahmen der Nato nicht schwächen dürfe.
Die Gunst der Stunde
Dieses Argument war vor allem den Briten wichtig, die traditionell ein Naheverhältnis zu Washington haben, jetzt aber aus der EU und damit aus der Debatte ausgeschieden sind. Das wird als Chance gesehen, das Thema voranzubringen. Länder wie Polen wollen ebenfalls die Verbindung zu den USA nicht schwächen und stehen auf der Bremse. Motor einer eigenständigen Verteidigung sind Frankreich und Deutschland. Es gibt bereits eine deutsch-französische Brigade, die aber eher symbolische Bedeutung hat.
Dass Fortschritte im Bereich der gemeinsamen EU-Verteidigung schwer zu erzielen sind, zeigen die vergangenen Jahre. Als Donald Trump zu Beginn seiner Amtszeit als US-Präsident die Nato infrage stellte, wurde man in der EU nicht müde, die Notwendigkeit einer eigenständigen Verteidigungspolitik zu betonen. Viele Fortschritte hat es hier seither nicht gegeben - auch deshalb, weil es in der EU nur sehr schwer möglich ist, sich auf gemeinsame außenpolitische Ziele zu einigen. Immerhin gab es in der Vergangenheit einige Erfolge bei dem Versuch, die Bewaffnung zu vereinheitlichen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will jedenfalls die Bemühungen um eine gemeinsame Verteidigung jetzt wieder aufnehmen. Auch er verweist auf die jüngsten Erfahrungen in Kabul - sie könnten der Katalysator sein, um diese Pläne nun endlich zu verwirklichen, so Borrell. "Nie lag die Notwendigkeit einer stärkeren europäischen Verteidigung klarer auf der Hand als heute."
Die bisherigen Überlegungen sehen vor, eine rund 5.000 Soldaten starke Einheit zu schaffen, die innerhalb kurzer Zeit in Krisenländer verlegt werden und im Kampf gegen den internationalen Terrorismus in Ländern wie Mali zum Einsatz kommen kann. Berichte, nach denen Borrell sogar eine 50.000 Soldaten starke Einheit anstrebt, wurden zuletzt nicht bestätigt.(red.)