Berlin. Die Geschichte der Grünen in diesem Wahlkampf ist eine von der Macht der Meinungsumfragen und des Zeitgeistes. Es sei noch einmal daran erinnert, dass die Ökopartei bei der letzten Wahl 2017 lediglich 8,9 Prozent der Stimmen erhielt. Nun haben die Grünen mit um die 14 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht.

Trotzdem ist das in gewisser Weise eine Enttäuschung. Denn die Grünen haben sich bei diesem Wahlkampf nicht an ihrer Ausgangslage von der letzten Wahl gemessen, sondern an ihren Möglichkeiten und Träumen. Und die waren groß.

Getragen von der Klimadebatte und der "Fridays for Future"-Bewegung schienen die Grünen die Partei der Zukunft. Als Annalena Baerbock im April zur Spitzenkandidatin gekürt wurde, waren die Grünen derart obenauf, dass sie manche Meinungsumfragen sogar an erster Stelle sahen. Erstmals stellte die Ökopartei den Kanzleranspruch. Das brachte viel mediale Präsenz: So war Baerbock als Vertreterin der nur sechststärksten Partei im Bundestag plötzlich Gast im Fernsehen bei den Triellen mit den Kandidaten der Großparteien, Armin Laschet von der Union und Olaf Scholz von der SPD. Gleichzeitig wurde die Aufsteigerpartei nun auch viel aufmerksamer und kritischer durchleuchtet.

Aus Klimapolitikerin wurde überehrgeizige Streberin

Bald wurden Baerbock Schummeleien im Lebenslauf und plagiierte Passagen in ihrem Buch nachgewiesen. Aus der aufstrebenden, sachpolitisch fundierten Umweltpolitikerin wurde in der öffentlichen Wahrnehmung die überehrgeizige, überforderte Streberin. Nicht das Klima, sondern die Person Baerbock stand plötzlich im Mittelpunkt.

Von da an wirkte der grüne Wahlkampf verkrampft. Der Lack war ab, der Glanz war verblichen.

Die Partei ist am Ende nicht so hoch gesprungen, wie sie sich selbst die Latte gelegt hat. Das schwächt die Position von Baerbock, die nicht nur Prozente hinzugewonnen, sondern auch eine Chance verspielt hat. "Wir wollten mehr. Das haben wir nicht erreicht, auch aufgrund eigener Fehler zu Beginn des Wahlkampfs in der Kampagne - eigener Fehler von mir", sagte sie.

Eine große Kursänderung ist aber von den Grünen nicht zu erwarten: Das Klima wird das Kernthema der Ökopartei bleiben. Und es werden wohl weiter die Realos den Ton angeben. Denn diese Öffnung zur Mitte hin, die Konzerne nicht nur als kapitalistische Gegner, sondern auch als Partner im Kampf gegen den Klimawandel ansieht, hat den Grünen erst ein so großes Wählerpotenzial eingebracht hat, dass sie derart hohe Ansprüche stellen konnten.

Vor allem aber wird es wohl keine Koalition ohne die Grünen geben. Denn die zwei wahrscheinlichsten Varianten sind nun ein Jamaika-Bündnis aus Union, Grünen und FDP oder eine Ampel-Koalition, bei der die SPD mit Grünen und FDP regieren würde. Sollte es zu einer dieser Regierungen kommen, könnten die Grünen dieser ihre Handschrift verleihen, wenn sie die Klimaagenden übertragen bekommen. Und dabei auch Ministerposten mit Kompetenzen erhalten, die ihnen tatsächlich viel Einfluss auf die Klimapolitik geben.

Dann hätten die Grünen die Chance, ihr Grundanliegen so weit voranzubringen, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl von dem träumen können, was ihnen in Berlin bei der Kommunalwahl, die ebenfalls am Sonntag stattgefunden hat, wenigstens in ersten Hochrechnungen gelungen ist: stärkste Partei zu werden.(klh)