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Mehr Brüssel als Bregenz

Von Thomas Seifert aus Brüssel

Politik

Die erste Auslandsreise von Alexander Schallenberg als Kanzler führt nach Brüssel. Dort kennt man ihn gut.


Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßt Bundeskanzler Alexander Schallenberg vor dem Kommissionsgebäude in Brüssel: "Sie haben die Europäische Union ja in Ihrer DNA", bemüht von der Leyen ein Sprachbild aus der Genetik und verweist darauf, dass Schallenberg das renommierte Europacollege in Brügge absolviert hat. "Wir haben viel gemeinsam vor, Nachhaltigkeitsprojekte, der Wiederaufbauplan Next Generation EU, der eben in ein Gesetz gegossen wurde. Jetzt geht es ans Implementieren, da brauchen wir motivierte, tatkräftige Regierungen. Da ist es gut, Sie an unserer Seite zu wissen - doch dazu brauchen wir auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft", sagt von der Leyen.

Tatsächlich sei sein Besuch "ein ganz bewusstes Signal", sagt Schallenberg. Österreich sei ein engagierter Partner innerhalb der EU - "Sie können mit uns rechnen." Ohne Zweifel hat Schallenberg die Europäische Union wirklich in seiner DNA: Er war in seinem Leben wohl öfter in Brüssel als in Bregenz, er arbeitete als junger Beamter vor 20 Jahren in der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU. Von 2016 bis 2018 war er Leiter der Europasektion im Außenministerium.

Einsatz für den Westbalkan

Bei einem Journalistengespräch in der österreichischen Vertretung vor seinem Gespräch mit der EU-Kommissionspräsidentin wird Schallenberg danach gefragt, wie er in Brüssel die innenpolitische Situation in Österreich erklären würde. "Das wird wohl Thema sein, aber kein dominierendes", sagt Schallenberg. Bei 27 Mitgliedsländern der EU sei es nichts Außergewöhnliches, dass es immer wieder in einzelnen Staaten zu politischen Turbulenzen komme. "Es gibt bei jeder Ratssitzung neue Gesichter zu sehen", sagt Schallenberg.

Er werde bei seinen Unterredungen mit den Vertretern in Brüssel von der österreichischen "Herzensangelegenheit" sprechen, den Westbalkan an die EU heranzuführen. "Das wichtigste Ziel Österreichs ist, dass es nie wieder zu einer Teilung in Europa kommt und Österreich nie wieder in eine europäische Randlage gerät." Aus diesem Grund sei es ihm ein Anliegen, dass bei den östlichen EU-Partnern nicht der Eindruck entsteht, dass diese EU-Mitglieder zweiter Klasse seien.

Gleichzeitig betont Schallenberg in Brüssel, dass die Werte der EU nicht verhandelbar seien. "Die Vorgangsweise gegenüber Polen halte ich beispielsweise für absolut richtig, aber es kommt auf den Ton an, wie man miteinander umgeht", erklärt der Kanzler.

Ebenfalls in Anspielung auf Polen sagt Schallenberg: "Wenn Mitgliedsländer in Frage stellen, dass das Unionsrecht Vorrang vor nationalem Recht genießt, dann zerfällt das europäische Gebilde." Die EU-Kommission sei richtig beraten, jede Möglichkeit zu nutzen, eine solche "brandgefährliche Entwicklung" zu verhindern. Damit spielt Schallenberg auf das Vorhaben an, Regierungen, die das Primat europäischen Rechts in Frage stellen, den Zugang zu den europäischen Fördertöpfen zu verwehren, wie das zuletzt auch wieder von den Niederlanden ins Spiel gebracht wurde.

Freilich haben die österreichischen Journalisten auch Fragen zur Rechtsstaatlichkeit im eigenen Land: Einmal mehr wird Schallenberg danach gefragt, ob es denn klug gewesen sei, öffentlich Zweifel daran anzumelden, dass an den Vorwürfen, wegen derer die Justiz gegen den zurückgetretenen Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen engstes Umfeld ermittelt, etwas dran sei. Schallenbergs Antwort: Er habe diese Aussage nur einmal getätigt und betonte, dass dies seine persönliche Meinung sei. Die Frage ist freilich: Wie viel persönliche Meinung kann ein Bundeskanzler äußern?

Bei Schallenbergs Gesprächen mit EU-Vertretern geht es dann einmal mehr um das Thema Migration: Der Bundeskanzler plädiert dafür, den Ländern an den EU-Außengrenzen sowohl technisch als auch finanziell beizustehen. "Diese Länder sichern die EU-Außengrenzen, es wäre unfair, sie dabei alleine zu lassen", sagt der ehemalige Außenminister.

In den Gesprächen mit Schallenberg blitzt auch dessen Stil durch: Während Buch- und Literaturmuffel Sebastian Kurz in seiner Zeit als Kanzler nie wirklich als Sprachkünstler aufgefallen ist, bemüht Schallenberg Karl Poppers Aussage, dass niemand vor Verifikation gefeit sei. Was er damit meinte: Auch an der Justiz müsse Kritik erlaubt sein.

Ein Lapsus auf Twitter

Schallenberg spricht auch vom "Ende der Geschichte" und zitiert damit den US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama - und zwar im Zusammenhang mit der EU in den Nullerjahren, als für die Union alles in die richtige Richtung zu laufen schien: Osterweiterung, Türkei-Beitrittsgespräche, Russland-Annäherung. Und in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeits-Verfahren sagt Schallenberg: "In der EU gilt das faustische Prinzip - wer ewig strebend sich bemüht, den können wir erlösen." Faust II von Johann Wolfgang von Goethe - immer aktuell.

Ein peinlicher Lapsus passiert unterdessen mit dem Twitter-Account von Sebastian Kurz, der twitterte: "Meine erste Reise als Bundeskanzler führt mich heute bewusst nach Brüssel." Wunsch und Wirklichkeit: Auf dem Bild ist Alexander Schallenberg zu sehen, Kanzler Kurz hatte ja seinen ersten Tag als Klubobmann im Parlament. Beim EU-Gipfel kommende Woche wird Schallenberg wieder in Brüssel sein. "Ich bin froh, wieder hier zu sein", sagt Schallenberg am Brüsseler Flughafen vor seinem Rückflug nach Wien.