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Gedenkstätte Gusen droht neue Verzögerung

Von Otmar Lahodynsky

Politik

Der Ankauf der letzten Überreste des Konzentrationslagers stößt auf Probleme.


Es war der größte unterirdische NS-Rüstungsbetrieb mit dem Geheimcode "Bergkristall". In St. Georgen an der Gusen nahe Mauthausen mussten tausende Zwangsarbeiter ab Anfang 1944 unter einem Sandsteinmassiv ein riesiges Stollensystem mit bis zu 50.000 Quadratmetern bauen, damals die größte Baustelle des "Dritten Reichs". Schon bei der Ausgrabung kamen viele Arbeiter um, durch eingestürzte Stollen, durch Entkräftung, Seuchen wegen unhaltbarer hygienischer Bedingungen in überbelegten Baracken und durch Misshandlung brutaler SS-Aufseher.

Ab Herbst lief hier die Produktion der Rümpfe und Flügel für das erste Düsenflugzeug von Messerschmitt Me262 an. Steyr-Daimler-Puch ließ hier Karabiner und Wälzlager fertigen, um den Bombardierungen der nahen Werke in Steyr durch Luftangriffe der Alliierten zu entgehen.

Vergangenes Wochenende fanden wieder die nur zweimal im Jahr durchgeführten Besuche in den erhaltenen Stollengängen statt. Wegen des hohen Radongehalts muss zuvor der Besucherstollen tagelang belüftet werden. Der Großteil von ihnen wurde seit 2001, als die unterirdischen Produktionsanlagen nach langem Rechtsstreit mit privaten Eigentümern in den Besitz der Republik übergingen, mit Beton ausgefüllt. Denn bei den darüber in den Neunziger Jahren errichteten Wohnhäusern traten Sprünge auf, und im Boden entstanden immer wieder Krater.

Druck aus Polen

Es ist vor allem lokalen Aktivisten und polnischen Regierungsstellen zu verdanken, dass mehrere Kilometer lange unterirdische Gänge, die bis zu 7 Meter hoch sind und in denen sogar Züge verkehrten, noch erhalten geblieben sind. Vor allem Polens rechtskonservative PiS-Regierung machte Druck auf österreichische Politiker und Behörden. Sie finanzierte 2015 mehrere Informationstafeln und ein Mahnmal beim Stolleneingang. Und sie drängte darauf, die Reste des nahen KZ Gusen I und II, wo die Zwangsarbeiter unter schrecklichen Bedingungen untergebracht waren, privaten Eigentümern abzukaufen.

Denn die Vertreter der Republik hatten sich nach 1945 um die Lager in Gusen, in denen mehr Menschen getötet wurden als im nahen KZ Mauthausen, nicht gekümmert. Auf dem Gelände wurden Kleinhaus-Siedlungen gebaut. In den Sechziger Jahren wären beinahe auch die Reste des Krematoriums beseitigt worden, hätten nicht überlebende Häftlinge aus Italien und Frankreich das Grundstück gekauft und dann der Gemeinde zur Errichtung einer Gedenkstätte geschenkt.

Problempunkt "Jourhaus"

Auch beim Stolleneingang hat eine private Initiative, "Bewusstseinsregion Mauthausen-Gusen-St.Georgen", 2019 einen hölzernen Besucherpavillon mit Ausstellungsraum, Café und Toilettenanlage, errichtet. Zuvor mussten hohe Besucher, wie Polens Vize-Premier und Kulturminister Piotr Glinski, im Regen stehen und eine Plastikklo-Kabine aufsuchen.

Erst der Druck aus Polen, von wo mehr als 13.000 Häftlinge stammten und in Gusen getötet wurden, hat die türkis-grüne Koalition zum Handeln gebracht. Die polnische Regierung hatte angedroht, die letzten baulichen Überreste des Lagers Gusen notfalls in Eigenregie zu kaufen. Darauf wurden im Vorjahr Verhandlungen mit den privaten Eigentümern, darunter das Stein- und Baustoffunternehmen Poschacher, aufgenommen. Die Kaufverträge über den Erwerb des ehemaligen Appellplatzes, zweier Barackengebäude für SS-Wachmannschaften und eine riesige Steinbrecher-Anlage sind fast fertig.

Nur beim Kauf des sogenannten "Jourhauses", das als Eingang zum KZ und Wohngebäude für SS-Offiziere diente, und den Mauern eines Folter-Gefängnisses der SS spießt es sich. Der private Eigentümer soll eine zweistellige Millionensumme dafür gefordert haben, weit mehr als die Experten der Finanzprokuratur als Obergrenze für den Kauf empfohlen haben.

Polens Botschafterin in Österreich, Jolanta Roza Kozlowska, fürchtet, dass sich der Ankauf der Objekte "um weitere Jahre verzögern könnte". Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" verweist sie darauf, dass auch die Botschafter anderer Herkunftsländer der Häftlinge wie Italien, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Israel, "bereits extrem beunruhigt" seien. "Wichtig ist, dass diese neuerliche Verzögerung nicht den losgetretenen Prozess für die konkrete Gestaltung der künftigen Gedenkstätte aufhält." Und darüber sollte die Bundesregierung in Österreich keinesfalls alleine entscheiden dürfen. "Die Vertreter der Opfer und der Herkunftsländer haben ein moralisches Recht auf Mitgestaltung der neuen Gedenkstätte in Gusen", so Kozlowska.

"Moralische Verpflichtung"

Vorbild dafür sei die neue Gedenkstätte im KZ Sobibor, eines der vielen NS-Lager im heutigen Polen, bei der eine internationale Kooperation der Opfer- und Überlebendenverbände mit den Vertretern der Herkunftsländer zu einem würdigen Erinnerungszentrum geführt hat.

Kozlowska sieht bei der Finanzierung des künftigen Gedenkzentrums in Gusen auch eine "moralische Verpflichtung" jener Unternehmen, die einst von der Sklavenarbeit profitiert haben, so etwa die Voest als Nachfolgerin der Hermann-Göring-Werke oder die inzwischen in mehrere eigenständige Firmen aufgeteilte Steyr-Daimler-Puch. Es könnten, so Kozlowska, etwa "als Zeichen des guten Willens" zunächst die laufenden Kosten für das Besucherzentrum beim Stolleneingang in St. Georgen von diesen Firmen getragen werden.