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Minsk droht im Migrationsstreit mit Gaslieferstopp

Von Martyna Czarnowska

Politik

EU bereitet Sanktionen gegen Weißrussland vor. Ukraine schickt Truppen an die Grenze.


Die Parallele ist unpassend. Das war zwar auch Premier Mateusz Morawiecki bewusst - und dennoch zog er sie. Als Polen am Donnerstag seinen Unabhängigkeitstag feierte, standen tausende Soldaten an der Grenze zu Weißrussland, um hunderte Migranten von Übertritten aufzuhalten. Vor 103 Jahren errang Polen, zuvor mehr als hundert Jahre zwischen anderen Mächten wie Russland und Preußen aufgeteilt, wieder seine Unabhängigkeit. Nun sei es wieder der "Aggression seitens des östlichen Nachbarn" ausgesetzt, schrieb Morawiecki auf Facebook - und warf die Frage auf, ob sich die historischen und aktuellen Ereignisse vergleichen ließen.

Um gleich zu beruhigen: Die jetzige Lage sei nicht derart dramatisch und vor allem nicht lebensgefährlich. Dennoch handle es sich um Krieg, eine neue Form davon. Es gelte wieder, Polen und die Grenzen des Landes zu verteidigen, erklärte der Premier.

In der Einschätzung, dass das weißrussische Regime "hybride Attacken" gegen die EU reitet, indem es seit Monaten Migranten nach Minsk einfliegen lässt und dann an die EU-Grenze schickt, ist Morawiecki keineswegs allein. Sowohl die EU-Institutionen als auch das Militärbündnis Nato äußern sich ähnlich. Die osteuropäischen EU-Mitglieder warnen auch schon, dass sich der politische Konflikt zu einem militärischen auswachsen könnte. Immerhin spielt auch Russland eine Rolle, das als Zeichen der nachbarschaftlichen Unterstützung Kampfjets über den weißrussischen Luftraum fliegen lässt.

Die von Belarus herbeigeführte Eskalation erhöhe auch die "Möglichkeit von Provokationen und ernsten Zusammenstößen, die in den militärischen Bereich reichen könnten", zitiert die Nachrichtenagentur Reuters aus einer gemeinsamen Erklärung der Verteidigungsminister Litauens, Lettlands und Estlands. Auch die Ukraine ist alarmiert: Sie schickt zusätzliche 8.500 Soldaten und Polizisten sowie 15 Hubschrauber an die Grenze zu Weißrussland, um mögliche Durchbruchsversuche von Migranten zu verhindern.

Die EU wiederum will sich dem Regime von Alexander Lukaschenko mit Strafmaßnahmen entgegenstellen. Die Sanktionen, die kommende Woche beschlossen werden sollen, würden unter anderem Fluggesellschaften umfassen, die wegen des Menschentransports auf eine schwarze Liste gelangen würden.

Prompt kündigte Lukaschenko Gegenmaßnahmen an. Er drohte, die Durchleitung von Gaslieferungen an die EU zu blockieren. Über die Pipeline Jamal-Europa wird jedoch nur ein kleiner Teil des russischen Erdgases in die EU transportiert.

Marsch der Unabhängigkeit

In dieser politisch aufgeheizten Atmosphäre versammelten sich zehntausende Menschen in Warschau zum Unabhängigkeitsmarsch. Die Veranstaltung wird traditionell von - teils extrem - rechtsnationalen Kreisen ausgerichtet, in den vergangenen Jahren war es dabei immer wieder zu Ausschreitungen gekommen. Auch heuer gab es einige ausländerfeindliche Parolen, Anfeindungen gegen die EU und Deutschland. Doch marschierten auch Familien mit Kindern die Straßen entlang. Gegendemonstranten gab es ebenfalls. Einer ihrer Slogans lautete: "Nationalisten ausweisen, Migranten retten".

Laut Organisatoren nahmen 100.000 Menschen an dem Marsch teil. Von den Behörden bestätigt wurde dies nicht.