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Der Erpresser in der Sackgasse

Von Gerhard Lechner

Politik

Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko dürfte im Migrantenkonflikt mit der EU auf dem kürzeren Ast sitzen.


Für Alexander Lukaschenko muss es eine echte Genugtuung gewesen sein. Seit den mutmaßlich grob gefälschten Wahlen im August 2020 und der darauf folgenden, sich über Monate hinziehenden blutigen Niederschlagung der breiten Protestbewegung in Belarus war der weißrussische Präsident im Westen eine Persona non grata. Die Staats- und Regierungschefs von EU und USA, die sich zuvor bereits mehrfach mit dem lange isolierten Diktator von Minsk getroffen hatten, schwenkten wieder auf einen harten Kurs ein. Sie verweigerten Lukaschenko die Anerkennung als Präsident seines Landes und erließen Sanktionen gegen ihn und jene Personen, die für die Repressionen in Belarus verantwortlich sind. Dem isolierten Autokraten, der sich zuvor mit Moskau heftig zerkracht hatte, blieb fortan nur noch eine Option: auf die Unterstützung des Kremls zu bauen.

Am Montagabend sah die Situation dann aber plötzlich ganz anders aus - zumindest, wenn man der Darstellung weißrussischer Staatsmedien folgt. Diese blendeten mit Genuss Fotos von Lukaschenko und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel aus besseren Zeiten ein, mit der unterschwelligen Botschaft: Alles ist jetzt wieder so wie früher. Der Grund: Aufgrund der aktuellen, von Lukaschenko bewusst herbeigeführten Migrationskrise an der polnisch-weißrussischen Grenze sah sich die deutsche Regierungschefin genötigt, gut 50 Minuten mit dem weißrussischen Staatschef über die kritische Situation an der Grenze zu telefonieren.

Zwar nannte sie ihn dabei nur "Herr Lukaschenko" und nicht Präsident. Doch das hinderte weißrussische TV-Sender nicht, in Triumphgeheul auszubrechen. "Na, du kleines Europa? Das kleine, aber stolze Belarus hat euch zerlegt. Jetzt läuft alles nach den Regeln und dem Willen von Lukaschenko", verkündete etwa TV-Moderator Grigori Asarjonok im staatlichen Sender STV. Der bullige 27-Jährige gilt als betont radikaler Lukaschenko-Propagandist. In seiner Sendung werden Oppositionelle mit Ratten, Schlangen oder Kröten gleichgesetzt. Als Lösung des Problems Opposition empfahl Asarjonok auch schon den Galgenstrick.

Ob der Jubel in den weißrussischen Medien gerechtfertigt ist, ist freilich eine andere Frage. Polens Regierung berichtete am Mittwoch, dass Weißrussland damit begonnen habe, Migranten, die am geschlossenen Grenzübergang Kuznica-Brusgi campieren, mit Bussen an einen anderen Ort zu bringen. Auch staatsnahe belarussische Medien veröffentlichten Videos von vier Reisebussen. "Das Zeltlager bei Kuznica leert sich", sagte Polens Vize-Innenminister Maciej Wasik. "Es sieht danach aus, dass Lukaschenko die Schlacht um die Grenze verloren hat." Zuvor hatten, wie Videos zeigten, vornehmlich junge Migranten die polnischen Grenztruppen mit Steinen, Wurfgegenständen und Knallgranaten attackiert. Es gab dabei auch Verletzte. Polens Exekutive hielt die Eindringlinge mit Wasserwerfern vom Grenzübertritt ab.

Erster Flug von Minsk in den Irak soll am Donnerstag starten

All das sieht nicht gerade nach einem großen Triumph des weißrussischen Autokraten aus. Zumal es Brüssel gelungen ist, mit Sanktionsdrohungen den Migrantenstrom Richtung Minsk weitgehend zum Versiegen zu bringen. An der Haltung der EU gegenüber Lukaschenko hat sich nichts geändert. Der Erpressungsversuch hat laut dem weißrussischen Politologen Artjom Schreibman nicht - wie von Lukaschenko erhofft - zu einer nachgiebigeren, sondern zu einer härteren Haltung der EU gegenüber Minsk geführt. Westliche Sanktionen wurden schneller vorbereitet. Zudem zeigen sich Polen, Lettland und Litauen nicht willig, nachzugeben und Migranten durchzulassen.

Damit bleibt Lukaschenko mit seinem selbst geschaffenen Problem vorerst allein. Die Einwanderer aus dem Mittleren Osten verbleiben - so sie nicht bereit sind, in ihre Heimat zurückzukehren (ein erster Flug mit Migranten von Belarus aus Richtung Irak soll am Donnerstag starten) - einstweilen auf weißrussischem Territorium. Innenpolitisch könnte das für Lukaschenko zum Problem werden. Denn der Langzeitpräsident hat sein politisches Kapital auf seinem Image als "starker Präsident", als energischer Ordnungsstifter aufgebaut. Dass etwa Minsk eine blitzsaubere Stadt ist, wird ihm positiv angerechnet.

Nun ist es aber gerade der vermeintliche Ordnungsstifter, der in Belarus mit der forcierten Schleusung von Migranten Richtung Europa Unordnung stiftet. Sollte diese Schleusung - wie es aussieht - nicht funktionieren und sollten die Menschen in Belarus festsitzen, könnte das den ohnehin vorhandenen Unmut in der Bevölkerung erneut anfachen - einen Unmut, den Lukaschenko aber auch bisher schon mit seinem Sicherheitsapparat und der Rückendeckung aus Moskau zu unterdrücken in der Lage war. Der Anruf Merkels bei Lukaschenko, für den die deutsche Kanzlerin auch kritisiert wurde, dürfte nach Ansicht Schraibmans und des Osteuropa-Experten Alexander Dubowy ein Versuch der EU sein, Lukaschenko einen gesichtswahrenden Ausstieg aus der jetzigen Sackgasse zu bieten.

Der Autokrat will von der EU als Präsident anerkannt werden

Die Frage ist nur, ob sich Lukaschenko mit der Aufwertung durch das Merkel-Telefonat zufriedengibt. Laut der estnischen Außenministerin Eva-Maria Liimets habe der Autokrat in dem Telefonat ein Ende der Sanktionen und die Anerkennung als Staatschef gefordert - eine Forderung, auf die die EU kaum eingehen kann.

Dubowy verweist gegenüber der "Wiener Zeitung" darauf, dass Lukaschenko auch mit dem Telefonat bereits einiges erreicht hat: "Er ist jetzt kein Aussätziger mehr, mit dem man nicht spricht. Damit kann Lukaschenko innenpolitisch punkten - gegenüber der eigenen Elite und gegenüber der Opposition", sagt der Experte. Letztere sei aufgrund der bisherigen Erfolglosigkeit im Widerstand gegen Lukaschenko ohnehin stark gespalten. Auch die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja verliere innerhalb der Opposition an Zustimmung.