Zum Hauptinhalt springen

Clown der Zornestränen

Von Michael Schmölzer

Politik

Einst beim Wähler als unkonventioneller Spaßvogel beliebt, sorgt der britische Premier Johnson jetzt für Empörung.


Der britische Premier Boris Johnson sieht sich mit rapide sinkenden Popularitätswerten konfrontiert. Den jüngsten Umfragen zufolge sind mehr als zwei Drittel aller Briten davon überzeugt, dass man dem Regierungschef nicht glauben könne. Und erstmals seit Jahresbeginn liegt die oppositionelle Labour Party mit einem deutlichen Vorsprung vor Johnsons Tories.

Wenn das Zugpferd lahmt, schlägt die Stunde der innerparteilichen Kritiker. Das musste nicht nur Österreichs Altkanzler Sebastian Kurz erfahren. In Großbritannien äußern sich jetzt immer mehr Parteikollegen offen kritisch über Johnson.

Stimmung am Tiefpunkt

Etliche Tory-Abgeordnete sollen bereits eine Misstrauensabstimmung gefordert haben, Medien spekulieren bereits über den Anfang vom Ende für "Boris". Schatzkanzler Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss stehen angeblich für eine mögliche Nachfolge bereit. Es gibt Berichte, wonach vor allem Sunak schon länger an Johnsons Sessel sägt.

Vormals war Johnson als sympathischer Clown geschätzt, doch jetzt wirkt der notorische Spaßvogel deplatziert und sorgt für Empörung. Was einst lustig war, ist jetzt peinlich, was als unkonventionell angesehen worden war, wirkt nun arrogant und abgehoben. Was die Briten enorm stört, ist der Umstand, dass Mitarbeiter des Premiers offenbar eine ausgelassene Weihnachtsfeier abgehalten haben. Und zwar vor einem Jahr, als strenge Lockdown-Regeln galten und Millionen Briten nicht zu ihren Verwandten fahren durften. Tage später scherzten die Übeltäter dann vor der Kamera über ihren Regelbruch.

Ein neues Foto bringt Johnson weiter in die Bredouille. Die Zeitung "Sunday Mirror" veröffentlichte eine Bildschirm-Aufnahme, die zeigt, wie der Regierungschef während des Lockdowns, flankiert von Mitarbeitern, in seinem Londoner Regierungssitz an einem Online-Quiz teilnimmt. Eine Mitarbeiterin trägt ein Weihnachtshütchen, ein anderer eine Girlande um den Hals.

Die Briten sind not amused, sie fühlen sich ob der Bilder verhöhnt. Laut "Sunday Mirror" sollen sich zahlreiche Johnson-Mitarbeiter vor den Computern versammelt und Alkohol getrunken haben. Die Angelegenheit ist ein gefundenes Fressen für die Labour-Opposition, die Johnson vorwirft, er habe seinen Laden längst nicht mehr im Griff.

Ein Bericht der britischen Wahl-Kommission erschwert die Lage des Premiers weiter. Hier kommt man zum Schluss, dass Johnson widersprüchliche und irreführende Aussagen im Zusammenhang mit der Finanzierung einer kostspieligen Neugestaltung seiner Dienstwohnung in Downing Street gemacht hat. Unter anderem hatte Johnson erklärt, er habe bis Februar dieses Jahres nicht gewusst, dass zu Beginn reiche Gönner diese Renovierung finanziert hatten. Tatsächlich scheint er bereits im November letzten Jahres einen dieser Gönner, Lord Brownlow, um zusätzliche Mittel gebeten haben.

Tories rebellieren

Diese Skandale entfalten vor dem Hintergrund genereller, schmerzhafter Fehlentwicklungen ihre Wirkung. Wegen der Folgen von Brexit und Corona-Pandemie bleibt die wirtschaftliche Erholung aus, Probleme bei den Lieferketten führten zu Sorgen, dass Briten zu Weihnachten auf den Braten verzichten müssen und auf dem Trockenen sitzen könnten. Als Johnson sich vor drei Wochen in einer Rede mit Moses verglich und lange über die Zeichentrickfigur Peppa Wutz schwadronierte, war das Verständnis dafür gering.

Der Umstand, dass der Premier nach langem Zögern jetzt in einer Hauruck-Aktion die Ausbreitung der Omikron-Variante verhindern will, hat ihm zu guter Letzt eine Rebellion unter den Tory-Abgeordneten eingebracht. Dutzende Mandatare stellen sich gegen die schärferen Corona-Regeln. Johnson ist plötzlich auf die Unterstützung der Opposition angewiesen, um sein politisches Überleben zu sichern.