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Wenn der Hass grenzenlos wird

Von Alexander Dworzak und Klaus Huhold

Politik

Radikale Gegner der Covid-Maßnahmen schrecken mittlerweile auch nicht vor Morddrohungen zurück.


Das sprichwörtliche dicke Fell zählt zur Grundausstattung von Politikern. Sie müssen Kritik von Bürgern einstecken, auch wenn diese persönlich wird. Wenn der Unmut zur Bedrohung wird, ist aber eine Grenze überschritten. Mit der Corona-Krise sind die Übergriffe immer heftiger geworden - bereits lange bevor die Bundesregierung auf eine Impfpflicht umgeschwenkt ist. So erhielt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) als Innenminister ein E-Mail mit dem Hinweis, er solle "gut auf seine Kinder aufpassen". Der Absender wurde wegen gefährlicher Drohung verurteilt.

Mit Morddrohungen sind derzeit Mitglieder der Tiroler Landesregierung konfrontiert, unter ihnen Landeshauptmann Günther Platter und sein Stellvertreter Josef Geisler (beide ÖVP). In den vergangenen Tagen gingen entsprechende anonyme Schreiben ein. Über Details hält sich das Innenministerium bedeckt. Wie viele Personen insgesamt adressiert waren, wurde gegenüber der "Wiener Zeitung" nicht kommentiert. Ebenso unbeantwortet blieb die Frage, ob in den vergangenen Tagen weitere Politiker Morddrohungen erhielten, etwa Mitglieder der Bundesregierung, anderer Landesregierungen oder Gemeindevertreter. Denn längst sind nicht nur die Spitzen der Republik von Drohungen betroffen. Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl berichtet von Verbalattacken bis hin zu den Bürgermeistern.

Waffen sichergestellt

In Deutschland ist jeder zweite Kommunalpolitiker bereits beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden. Das berichtete der Präsident des Städtetages, Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung, im November. Über die Grenzen des Freistaates hinaus machen derzeit die Morddrohungen gegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer Schlagzeilen. Ersten Erkenntnissen zufolge stehen sie in Zusammenhang mit der Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht auch in Deutschland.

Dass die Mordpläne bereits recht konkret waren, darauf deutet hin, dass die Polizei bei mehreren Razzien am Mittwoch Waffen sicherstellte. Außerdem sollen die Verdächtigen in einer Chatgruppe im Dienst Telegram sehr offen und konkret über ihre Mordabsichten gesprochen haben.

Aber nicht nur Politiker kommen ins Visier von Verschwörungstheoretikern, Rechtsextremen oder anderen gewaltbereiten Gegnern der Corona-Politik. "Wir beobachten eine zunehmende Radikalisierung, und es gibt Drohungen gegen Unternehmen der kritischen Infrastruktur, gegen Gesundheitseinrichtungen und gegen Medienunternehmen", sagt der Sprecher des heimischen Innenministeriums. Ort der Radikalisierung ist oftmals Telegram, wo sich die rechte Szene im deutschsprachigen Raum bevorzugt vernetzt. Parteien wie die FPÖ greifen die Stimmung auch radikaler Corona-Gegner auf und maximieren sie zum eigenen Profit, indem sie von Österreich als Diktatur sprechen.

Beim Chef angeschwärzt

Nicht nur hier, auf der ganzen Welt zeigen sich die Konsequenzen. Die Fachzeitschrift "Nature", in der renommierte Experten zu Wort kommen, sprach mit 300 Wissenschaftlern, die sich öffentlich zu Corona geäußert haben. Mehr als die Hälfte von ihnen war nachher Angriffen ausgesetzt. 22 Prozent wurden physische oder sexuelle Gewalt angedroht, andere wurden bei ihren Vorgesetzten angeschwärzt oder in sozialen Medien attackiert.

Auch in Österreich berichten Virologen und Ärzte davon, dass ihnen Gewalt angedroht wird. Das geschieht zumeist nach öffentlichen Auftritten, aber nicht einmal das ist mehr notwendig. In Braunau in Oberösterreich beschimpfte laut lokalen Medien Impfgegner eine Altenpflegerin, die in Arbeitskleidung gerade zufällig auf dem Heimweg war. Sie sei mitschuld, dass eine Impfpflicht komme, bekam sie zu hören, danach wurde ihr ein Becher Kaffee ins Gesicht geschüttet.

Solch spontane Angriffe können in einer blutigen Tragödie enden. In Deutschland wurde im September ein 20-jähriger Tankstellen-Kassier erschossen, nachdem er einen Kunden auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht hatte. Oft aber handelt es sich bei den Drohungen um geplante und konzertierte Aktionen, bei denen Politiker und Wissenschaftler zum Abschuss freigegeben werden, indem etwa auf einschlägigen Foren ihre privaten Adressen weitergegeben werden. Das kann dann zu Drohbriefen führen oder auch zu Einschüchterungsaktionen wie einen Fackelmarsch vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping.

Klima der Einschüchterung

All diesen Aktionen ist gemein, dass sie ein Klima der Angst und der Einschüchterung schaffen wollen. Radikale Kräfte spekulieren darauf, dass bedrohte Virologen sich nicht mehr äußern oder eingeschüchtertes Gesundheitspersonal nicht mehr für Impfbusse arbeitet.

Dazu kommt, dass die Gegner der Corona-Maßnahmen zwar die Minderheit bilden, aber viel besser vernetzt sind. Im sächsischen Freiberg reichen einige hundert Personen, die sich wöchentlich zu "Spaziergängen" treffen, um deutschlandweit in die Schlagzeilen zu geraten.

Gegen diesen "Abenteuerspielplatz der Rechtsextremen und Corona-Leugner" wehrt sich nun die Bürgerinitiative "Freiberg für alle" in einem offenen Brief. In Österreich ist als friedlicher Gegenprotest ein "Lichtermeer" um die Wiener Ringstraße geplant. Wo in den vergangenen Wochen Gegner der Corona-Maßnahmen die Szene bestimmten, sollen am Sonntag Kerzen und eine Schweigeminute für die Covid-Toten und das Gesundheitspersonal einen bildlichen Gegenpol schaffen.