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Das Brexit-Gehirn als Racheengel

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Dominic Cummings war Boris Johnsons wichtigster Mann. Nun sinnt der geschasste Chefberater auf Revanche.


Ohne ihn wäre Boris Johnson vielleicht nie ins Amt gekommen. Und ohne ihn hätte er den Brexit kaum so konsequent durchgesetzt. Denn nach Johnsons Einzug in No 10 Downing Street fungierte Dominic Cummings, der frühere Kopf der Anti-EU-Bewegung, gleichzeitig als Chefstratege, Chefberater und Quasi-Stabschef des Premierministers.

Nun aber ist Cummings nur auf eins erpicht - Boris Johnson wieder aus der Regierungszentrale zu katapultieren, seinen Ruf zu zerstören, so gut es geht. Er würde "einen Eid" darauf schwören, dass Johnson "das Parlament belogen" habe, erklärte Cummings zu Beginn dieser Woche. Johnson habe genau gewusst, dass eine zu Lockdown-Zeiten in der Downing Street veranstaltete Gartenparty "kein Arbeitstreffen" war, wie er dem Unterhaus weiszumachen suchte - sondern ganz einfach eine feuchtfröhliche Festivität.

Der Regierungschef sei auch von ihm und von anderen gewarnt worden, dass die Party am 20. Mai 2020, zu der Johnsons Privatsekretär Martin Reynolds 100 Gäste einlud, gegen das Gesetz verstieß, sagte Cummings. Er selbst habe Johnson darauf hingewiesen, dass Reynolds "alle im Haus zu einem geselligen Umtrunk" gerufen habe, den geltenden Lockdown-Regeln zum Trotz. Aber Johnson habe diese Bedenken "weggewischt" und die Party ausdrücklich genehmigt. Und dem Parlament später erzählt, er habe von nichts gewusst.

Von Johnson wurde diese Version am Dienstag erneut nachdrücklich bestritten. Auch Vize-Premier Dominic Raab versicherte, an der Sache sei "nichts Wahres" dran. Allerdings räumte Raab ein, dass ein Premierminister, der das Parlament belüge, natürlich nicht länger im Amt bleiben könne. So etwas gehe nicht an.

Tories zweifeln an Johnson

Leicht fällt es inzwischen auch Johnsons Parteigängern nicht mehr, ihm noch zu trauen. Letzten Umfragen zufolge verlangen inzwischen 40 Prozent aller Tory-Aktivisten den Rücktritt des Premiers. In dieser für Johnson brenzligen Lage sieht Cummings die bisher beste Chance, seinen Ex-Boss zur Strecke zu bringen. Seit Johnson ihn im November 2020 feuerte und er mit einem Karton voller Unterlagen aus der Tür von No 10 auf die Straße trat, hat der heute 50-Jährige auf Rache gesonnen - und die Regierenden, die in dem Karton üble Geheimnisse vermuteten, in permanente Angst versetzt.

Nicht nur war Cummings der Erste, der auf die Party am 20. Mai 2020, aufmerksam gemacht hatte. Er hatte den Premier auch zuvor schon scharf attackiert. Unter anderem hatte er erklärt, Johnson sei für den unnötigen Tod "von Zehntausenden von Menschen" haftbar zu machen, weil er mit seinen Lockdowns mehrfach gezögert hatte, gegen den Rat aller Experten im Land.

Einer gewissen Ironie entbehrt dieser Vorwurf freilich nicht, da Cummings selbst zur Unglaubwürdigkeit der Johnson-Regierung und zu deren Autoritätsverlust gleich im ersten Covid-Jahr entscheidend beigetragen hatte. Im Sommer 2020, nicht lang nach der nun beanstandeten Gartenparty, war er mit seiner Familie ins nordenglische Durham gefahren und hatte dort eine Tages-Rundreise unternommen - obwohl er davon ausging, dass er selbst covidkrank war.

Großbritanniens Rasputin

Trotz dieses offensichtlichen Verstoßes gegen alle Vorschriften, der Cummings viele empörte Kommentare eintrug, weigerte sich der Premier, ihn fallen zu lassen. Für Johnson war sein Chef-Berater noch immer unerlässlich zu jener Zeit. Denn der scharfsinnige und in vielem unkonventionelle Oxford-Absolvent entwarf nicht nur einen Großteil der strategischen Pläne der Regierung Johnson. Cummings dirigierte auch die Beraterstäbe auch anderer Ministerien und galt als das eigentliche Gehirn im Büro des Premiers.

Nachdem er Johnson geholfen hatte, den Brexit "über die Bühne zu bringen", schleuste Cummings allerdings ein ganzes Team an eigenen Helfern in die Regierungszentrale ein - zum Kummer vieler Tory-Politiker, denen der Günstling des Premiers "wie eine Art Rasputin", wie ein machtbesessener Eigenbrötler vorkam. Tatsächlich hatte Cummings eine tiefgreifende Transformation der britischen Gesellschaft im Sinn, nach der erfolgreichen Abkoppelung von Europa. Die Justiz, das Militär, die Staatsbeamtenschaft, das Bildungswesen, eben die ganze "etablierte Ordnung" mussten nach Cummings Vorstellung aus den Angeln gehoben werden, die BBC und ihr öffentlicher Auftrag ein für alle Mal "zerschlagen" werden.

Gestolpert ist Cummings letztlich darüber, dass er sich unvorsichtigerweise mit Johnsons Frau Carrie angelegt hatte. Geht es nach Cummings Einschätzung werden aber wohl auch bald die Johnsons die Downing Street verlassen müssen. Mit weiteren Informationen aus seiner Schatztruhe an Insiderwissen dürfe man rechnen, hat er diese Woche verkündet: "Da gibt es noch viel mehr Fotos von späteren Parties." Mehr dazu werde er aber erst sagen, sobald die amtliche Untersuchung von "Partygate" - vielleicht schon am kommenden Wochenende - abgeschlossen sei.