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Neuanfang mit alten Problemen für Friedrich Merz

Von Alexander Dworzak

Politik

Der mit fast 95 Prozent frisch gekürte CDU-Vorsitzende muss persönliche Vorbehalte ausräumen und inhaltliche Akzente setzen.


Es wird keine triumphale Inthronisierung mit frenetischer Akklamation. Stattdessen wählen die Delegierten der CDU bei einem Online-Parteitag am Samstag mit 94,62 Prozent Friedrich Merz offiziell zum Chef der deutschen Konservativen. Auch zuvor hatten sich die rund 400.000 Mitglieder mit überwältigender Mehrheit für den 66-Jährigen ausgesprochen. 915 von 983 Delegierten waren für Merz. Es gab 52 Nein-Stimmen, 16 Delegierte enthielten sich. Die Entscheidung muss noch per Briefwahl bestätigt werden. Das Ergebnis soll am 31. Jänner verkündet werden.

Anschließend wählten die Delegierten den von Merz vorgeschlagenen Bundestagsabgeordneten Mario Czaja aus Berlin mit 92,89 Prozent zum neuen Generalsekretär. Die Enthaltungen mitgerechnet, wie dies andere Parteien tun, betrug das Ergebnis für Merz 93,08 Prozent. Czaja kam danach auf 90,76 Prozent.

Merz übernimmt eine Partei, die infolge des Desasters bei der Bundestagswahl im Herbst nach 16 Jahren unter Angela Merkel das Berliner Kanzleramt räumen musste, sich in der Oppositionsrolle wiederfindet und derzeit von nur 24 Prozent der Bürger gewählt werden würde. Zahlreiche Herausforderungen warten auf Merz.

Vertrauen außerhalb der CDU herstellen

"Es hat nie gestimmt, dass ich dieser konservative Knochen von vorgestern bin", sagte Merz vor Kurzem der "Süddeutschen Zeitung". Dabei bedient er selbst nur allzu gerne die Sehnsucht vieler in der CDU nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit - und wird vor allem unter den Mitgliedern gehört, die älter und konservativer als das Gros der Mandatare sind. Die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP werden daher alles daransetzen, Merz als Relikt aus dem Beginn des Jahrtausends darzustellen. Tatsächlich sind mehr als 18 Jahre vergangen, seit Merz sein bedeutendstes politisches Amt abtreten musste. 2002 verlor er den Fraktionsvorsitz von CDU und ihrer bayerischen Schwester CSU im Bundestag an Angela Merkel.

Danach widmete sich der Mann aus dem nordrhein-westfälischen Sauerland vorwiegend seiner Karriere als Anwalt und Beirat in Unternehmen. Unter anderem diente Merz als Verwaltungsrat der Bank HSBC Trinkaus & Burkhardt und als Aufsichtsratschef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock in Deutschland. Von Sozialdemokraten, Grünen und Vertretern der Linkspartei wird der neue CDU-Chef wohl zu hören bekommen, er vertrete nur die Reichen und sei abgehoben. Nicht nur zählte sich der Millionär und Flugzeugbesitzer lediglich zur "gehobenen Mittelschicht". Er brachte in den Nullerjahren auch die Anhebung des Pensionsalters auf 70 Jahre ins Spiel und dachte die Abschaffung des Kündigungsschutzes für über 53-jährige Neuangestellte an.

Bis heute polarisiert Merz. Das zeigt sich auch an der aktuellen Umfrage des ARD-Deutschlandtrends. 63 Prozent der Anhänger von CDU und CSU meinen, der neue Parteichef sei ein guter Vorsitzender. 22 Prozent stimmen dem nicht zu; der Rest ist unentschlossen. Unter der gesamten Bevölkerung ist das Verhältnis mit 37 zu 33 Prozent deutlich schlechter für Merz.

Klären, wofür die CDU steht

"Kein Programm, kein Kandidat, keine Strategie, keine Kommunikation, keine Agentur, nichts." Schonungslos rechnete Merz zuletzt mit dem Zustand der Union im Bundestagswahlkampf ab. Die inhaltlichen Probleme bestehen bereits seit langem, konnten aber dank der - parteiübergreifenden - Popularität von Angela Merkel kaschiert werden, die auch konservative Kernthemen wie die Wehrpflicht räumte. Der Groll vieler CDU-Mitglieder richtete sich gegen diese Verwechselbarkeit unter der Langzeit-Kanzlerin, gepaart mit der Ablehnung von Merkels Flüchtlingspolitik des Sommers 2015.

Populär an der Basis ist hingegen die Renaissance der von Merkel abservierten Atomkraft. Merz macht sich diese Stimmung zunutze und sagt, immer nur aussteigen werde nicht reichen. Ob er diese Linie angesichts der Debatte in der EU um Atomkraft als "grüne" Energie weiter verfolgt, ist jedoch ungewiss. Eine klare Mehrheit der Bevölkerung befürwortet den Ausstieg aus der Kernenergie; Ende dieses Jahres sollen die letzten drei Reaktoren Deutschlands vom Netz gehen.

Zu erwarten ist, dass Merz’ wirtschaftsliberale und gesellschaftspolitisch konservative Positionen auf das neue Parteiprogramm abfärben. Das bisher letzte stammt aus 2007. Für die Programmarbeit ist nun Carsten Linnemann zuständig, Ex-Vorsitzender der Mittelstandsunion, welche die Interessen von Unternehmern im Blick hat. Den Arbeitnehmerflügel bedient Merz, indem er Berlins Ex-Sozialsenator Mario Czaja zum CDU-Generalsekretär machen möchte. Neu geschaffen wird der Posten der Generalsekretärs-Stellvertreterin, um diesen mit einer Frau zu besetzen: Christina Stumpp. Der Bundestags-Neuling und Czaja sind aber politische Leichtgewichte.

Ost-West-Gräben überwinden

Merz muss nicht nur den Ausgleich zwischen Wertkonservativen, Wirtschaftsliberalen und Christlich-Sozialen schaffen, sondern dabei auch die regionalen Gefälle beachten. Im Osten der Bundesrepublik wurde er als Parteichef herbeigesehnt. Dort sind die Landesverbände deutlich konservativer, selbst eine Zusammenarbeit mit der AfD gilt manchen als erwünscht - was Merz rundweg ablehnt. Die Nationalpopulisten können auf ein stabiles Wählerfundament von rund zehn Prozent bauen, im Osten sind es deutlich mehr Anhänger. Diese für die CDU zu gewinnen, wird eine der schwierigsten Aufgaben für den neuen Parteichef.

Zu Merz’ Glück finden 2022 lediglich Landtagswahlen in West-Bundesländern statt, in denen die AfD kaum eine Rolle spielt: im Saarland, in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Niedersachsen. Zentral für die CDU ist heuer, NRW als bevölkerungsreichstes Bundesland und Heimat von Merz nicht an die Sozialdemokraten zu verlieren.

Mit der CSU an einem Strang ziehen

Einträchtig saßen Merz und CSU-Chef Markus Söder zu Jahresbeginn auf einer Bank am bayerischen Kirchsee. Die Bilder sollen einen Neuanfang zwischen den Schwesterparteien demonstrieren. Im Wahljahr 2021 stritten Söder und der damalige CDU-Vorsitzende Armin Laschet öffentlich um die Kanzlerkandidatur.

Für die CSU ist die neue Oppositionsrolle im Bundestag besonders bitter. Sie kann sich nun nicht mehr als Vertreterin Bayerns in Berlin inszenieren. Zur Profilschärfung könnten inhaltliche Alleingänge folgen - auch auf Kosten des Partners CDU. Diese muss Merz unterbinden.