Die Ukraine-Krise spaltet nicht nur die EU als Ganze. Auch innerhalb der ehemals russisch beherrschten Staaten wird die Frage, wie man mit dem Druck des Kremls auf Kiew umgeht, unterschiedlich beantwortet. Polen und die baltischen Staaten setzen schon aus historischen Gründen auf einen Kurs der Abschreckung gegenüber dem Kreml - die Annexionen, Besetzungen und zahllosen Aufstände gegen russische Vorherrschaft und die Sowjetzeit sind noch in guter Erinnerung.
So kündigte etwa Litauen am Donnerstag Raketenlieferungen in die Ukraine an. "Stinger-Flugabwehrraketen aus Litauen werden die Ukraine in den kommenden Tagen erreichen", sagte Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte bei einem Besuch in Kiew. Ungarn setzt, was den Umgang mit Putin betrifft, bekanntlich auf einen gänzlich anderen Kurs: Obwohl dessen Premier Viktor Orban als junger Mann noch öffentlich den Abzug der Sowjettruppen gefordert hatte, lehnt man in Budapest heute die Entsendung ausländischer Nato-Truppen auf ungarisches Territorium ab. "Wir brauchen keine zusätzlichen Truppen auf dem Staatsgebiet Ungarns", sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Mittwochabend dem europäischen Nachrichtensender Euronews. Der Außenminister sprach sich zudem gegen weitere Sanktionen gegen Russland aus. Orban ist Putins engster Verbündeter in der EU.
Proteste in der Slowakei
In der Slowakei, die ebenfalls an die Ukraine grenzt, ist der Umgang mit Russland Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Am Donnerstag hat Präsidentin Zuzana Caputova ein umstrittenes Militärabkommen mit den USA ratifiziert, das die Mitte-rechts-Regierung einen Tag zuvor beschlossen hatte - gegen heftigen Widerstand vor allem von rechts außen: Die Debatte im slowakischen Parlament war von Handgreiflichkeiten von Abgeordneten einer rechtsextremen Fraktion überschattet, die gegen den Vertrag, der den USA den Ausbau zweier Militärflughäfen in dem Land ermöglicht, Sturm liefen. Der Widerstand gegen den Vertrag reicht aber über die Anhängerschaft der Rechtsextremen hinaus: Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten mehrere tausend Menschen dagegen. Die Opposition kritisiert, dass Caputova den Vertrag unterschrieb, ohne ein mögliches Referendum abzuwarten.
In Rumänien hingegen ist die Einigkeit, was Russland anbelangt, größer: Dort sind am Donnerstag die ersten Konvois der US-Armee mit Militärtechnik angekommen. Bilder des rumänischen Verteidigungsministeriums zeigten Radschützenpanzer vom Typ Stryker am rumänisch-ungarischen Grenzübergang Nadlac. Auch Rumänien ist ein Nachbarland der Ukraine.
Russland ist die Uneinigkeit der EU-Länder bewusst. Diplomaten zufolge hatte Außenminister Sergej Lawrow den EU-Staaten einzeln die russischen Sicherheitsbedenken brieflich unterbreitet. Eine kollektive EU-Reaktion auf seine Vorschläge, hatte Lawrow erklärt, werde zu einem Scheitern der Gespräche führen. Dennoch oder gerade deshalb haben sich die 27 Mitgliedstaaten der EU am Donnerstag zu einer gemeinsamen Antwort durchgerungen. Was in dem Papier steht, wurde nicht bekannt.
Indessen bleibt trotz der regen Besuchsdiplomatie in der Ukraine-Krise die Lage hoch angespannt. Dies schon deshalb, weil Russland nun mit seinen geplanten Manövern in Belarus und einer Militärübung im Schwarzen Meer beginnt, die als Vorwand für einen Einmarsch genutzt werden könnten. Die Ukraine kündigte eine Reaktion zusammen mit Partnerländern an.
Scharfer Kurs der Briten
Großbritanniens Premier Boris Johnson warnte in drastischen Worten vor einem möglichen Krieg, laut seinem Verteidigungsminister Ben Wallace plant Moskau in Kürze eine "nukleare strategische Übung". Dabei seien auch Täuschungsmanöver geplant, um einen Vorwand für eine Invasion der Ukraine zu schaffen.
Die britische Außenministerin Liz Truss war in Moskau zu Gast, wo sie dem Kreml eine "Kalte-Kriegs-Rhetorik" vorwarf. Lawrow zeigte sich bei der Pressekonferenz mit Truss verärgert. Schon zuvor hatte er den Westen gewarnt: "Ideologische Ansätze, Ultimaten, Drohungen führen zu nichts."(leg/apa)