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EU darf Rechtsstaatlichkeit erzwingen

Von Martyna Czarnowska aus Warschau

Politik

EU-Gericht sieht Verknüpfung von EU-Geld mit demokratischen Werten als rechtens an. Empörung in Polen und Ungarn.


Die Nachricht verdrängte die Ukraine-Berichte von der obersten Stelle - wenn auch nur für kurze Zeit. In polnischen Medien nehmen Meldungen über den Ukraine-Konflikt mit Russland einen großen Platz ein, ebenso Spekulationen, wie lange und ob überhaupt ein Krieg abwendbar sei. Doch war es am Mittwoch ein anderer Streit, der wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit rückte: der Justizzwist mit der Europäischen Union.

Er kann Polen viel Geld kosten. Denn dass die Auszahlung von EU-Förderungen an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards geknüpft wird, ist mit EU-Recht vereinbar. Das stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest. Dem Urteil zufolge kann die EU-Kommission Mittel für Mitgliedstaaten einbehalten, wenn Verstöße gegen demokratische Rechte und Freiheiten vorliegen. Es geht dabei um die so genannte "Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union", die im Zuge der Budgetverhandlungen für den langjährigen EU-Haushalt vor eineinhalb Jahren geschaffen wurde. Polen und Ungarn, wo die Rechtsstaatlichkeit ebenfalls auf dem Prüfstand steht, konnten das nicht verhindern, klagten aber dagegen.

"Schlacht um die Freiheit"

Diese Klagen wies der EuGH eben zurück. Weder überschreite die EU mit dem Rechtsstaatsmechanismus ihren Zuständigkeitsbereich noch werde mit der Regelung das Artikel 7-Verfahren umgangen. Dieses kann die EU-Kommission einleiten, wenn sie befürchtet, dass ein Land Grundwerte der Union verletzt. Solche Verfahren laufen bereits gegen Polen und Ungarn.

Ginge es nach dem EU-Parlament, sollte die Kommission nun die Gangart gegenüber beiden Staaten verschärfen. Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dämpfte die Erwartungen nach baldigen Strafen. Sie begrüßte zwar das Urteil, doch werde ihre Behörde den Spruch zunächst prüfen und "in den kommenden Wochen" Leitlinien entwickeln, wie der Mechanismus anzuwenden wäre.

In Warschau und Budapest hingegen war die Empörung schon am Mittwoch groß. Der Tag werde als ein "düsterer" in die Geschichte eingehen, befand der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro bei einer Pressekonferenz. Der Vorsitzende der ultrakonservativen Partei Solidarisches Polen (Solidarna Polska), der Koalitionspartnerin von PiS (Recht und Gerechtigkeit) griff Premier Mateusz Morawiecki an, der einen "historischen Fehler" begangen habe, als er der Regelung bei den Haushaltsverhandlungen zugestimmt hatte. Dennoch werde "die Schlacht um die Freiheit Polens in der EU" fortgesetzt, stellte Ziobro fest.

Auch seine Amtskollegin in Budapest wetterte gegen den Spruch des Luxemburger Gerichtshofs. Per Kurznachrichtendienst Twitter sprach Judit Varga von einer "politischen Entscheidung" und ortete einen Machtmissbrauch durch Brüssel. Außerdem unterstellt die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz der EU, kurz vor der Parlamentswahl die Opposition stärken zu wollen.

Kostspielige Konfrontation

Um der Anschuldigung einer Einmischung in den Wahlkampf zu entgehen, wird die Kommission wohl keine weiteren Schritte vor dem Urnengang Anfang April unternehmen. Doch hat Ungarn beim Rechtsstaatsmechanismus mehr zu befürchten als Polen: Die Vorwürfe, EU-Förderungen würden im Fidesz-Zirkel veruntreut, sind zahlreich.

Dennoch hat Polen schon jetzt finanzielle Konsequenzen des Justizstreits zu tragen. Es wurde nämlich zu Strafzahlungen verurteilt, weil es sich einer EuGH-Anordnung widersetzt hat, die Arbeit der umstrittenen Disziplinarkammer des Obersten Gerichts zu stoppen. Allerdings könnte es hier zu einem Kompromiss kommen, da in Warschau zwei Gesetzesentwürfe angekündigt wurden, die zumindest teilweise den Einwänden des EU-Gerichts Rechnung tragen.

Insgesamt geht es aber für die zwei Länder um große Geldsummen. Allein im Corona-Wiederaufbaufonds sind für Polen 36 Milliarden Euro vorgesehen, davon rund 24 Milliarden an Direktzuschüssen. Für Ungarn stünden sieben Milliarden Euro zur Verfügung. Außerdem könnten Mittel aus dem EU-Haushalt eingefroren werden. Aus dem erhielt Polen nur im Jahr 2020 an die 19 Milliarden Euro.