Zum Hauptinhalt springen

Es wird geredet, aber nicht mehr

Von Martyna Czarnowska und Klaus Huhold

Politik

Erstmals seit Kriegsausbruch verhandelten Vertreter der Ukraine und Russlands miteinander. Die Widersprüche sind aber enorm.


Es ist ein verräterischer Kommentar. Die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA stellte unbeabsichtigt für kurze Zeit einen vorbereiteten Beitrag ins Netz, den nun die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" aufspürte und der zeigt, wie sehr man in Russland mit einem schnellen Sieg über die Ukraine gerechnet hatte.

Kolumnist Pjotr Akopow schreibt darin, dass "Russlands Militäroperation in der Ukraine eine neue Ära eröffnet hat". Dabei sei zwar nur eine Operation im Donbass angekündigt worden, doch sei nun die Bevölkerung positiv überrascht worden, dass Russland so schnell gleich in der gesamten Ukraine gesiegt hätte. Das bedeute nicht, dass die Ukraine in "ihrer Staatlichkeit aufgelöst" werde, aber sie werde "umgebaut, neu gegründet und zurück zu ihrem natürlichen Zustand als Teil der russischen Welt gebracht". Sprich: Sie wird ein Vasallenstaat von Wladimir Putins Gnaden.

So hatte sich der russische Herrscher das wohl auch vorgestellt, als er schon am Freitag, am ersten Tag nach Kriegsausbruch, der Ukraine Verhandlungen vorschlug. Moskau forderte da nämlich als Bedingung, dass sich die Ukraine vorher ergeben sollte.

Nun, als am Montag in Weißrussland tatsächlich die ersten Delegationen aus Russland und der Ukraine zusammentrafen, hörte sich das schon anders an. Die Gespräche fanden nämlich offiziell ohne Vorbedingungen statt, was wohl dem anhaltenden militärischen Widerstand der Ukrainer geschuldet ist.

Zweite Reihe aus Russland

Allerdings blieben die Erfolgsausichten gering. Denn es lässt sich kaum ausmalen, wie die Vorstellungen der beiden Seiten vereinbar sein sollen. Die Ukraine erklärte einen Waffenstillstand und den sofortigen Abzug russischer Truppen von ihrem Staatsgebiet als Ziel.

Russland wird dem aber wohl erst zustimmen, wenn die Ukraine sich seinen Forderungen unterwirft - die hat Präsident Wladmir Putin am Montag erneut genannt: Er hat als Bedingungen für ein Ende der russischen Invasion in der Ukraine erneut deren Entmilitarisierung sowie eine Anerkennung der von Russland annektierten Krim als russisches Territorium verlangt. Putin forderte zudem eine "Entnazifizierung" der ukrainischen Regierung und die "Neutralität" der Ukraine, teilte der Kreml am Montag nach einem Telefonat Putins mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit.

Er verlangt damit von der Ukraine den Verzicht auf ihre Souveränität und  von der ukrainischen Regierung ihre Selbstaufgabe  - Forderungen, die für diese nicht zu erfüllen sind. Entsprechend ergebnislos blieb auch die erste Runde der Gespräche.

Ohnehin war von Anfang an fraglich, wie ernst Russland die Gespräche überhaupt nimmt. Während die Ukraine eine sehr hochrangige Delegation entsandte, der etwa Verteidigungsminister Olexij Resnikow und Präsidentenberater Mychajlo Podoljak angehörten, schickte Russland nur Vertreter aus der zweiten Reihe.

Klar ist aber auch: Verhandlungen sind derzeit wohl die einzige Chance, das Blutvergießen zu beenden. Gespräche um eine Beilegung des Ukraine-Konflikts, der ja seit Jahren schwelt und den Moskau nun vollkommen eskalieren ließ, gab es jedoch schon zuvor. Sie mündeten im sogenannten Minsker Abkommen, dessen Überwachung dem Normandie-Format oblag, in dem sich Vertreter der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs trafen. Den Vertrag erklärte Putin vor kurzem als gescheitert. Die Vereinbarung hatte aber von vornherein ihre Tücken: Als sie 2014/2015 fixiert wurde, waren die Kämpfe in der Ostukraine bereits entbrannt. Der Verhandlungsspielraum des damaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko war dementsprechend eingeschränkt.

Gestärkte EU

Das Abkommen sah unter anderem einen Abzug aller ausländischen Söldner und Truppen aus der Ostukraine, eine Wiederherstellung der ukrainischen Gebietshoheit sowie Wahlen in den von Separatisten kontrollierten Gebieten Luhansk und Donezk vor. Die Reihenfolge der Umsetzung bildete jedoch bis zum Schluss eine der größten Hürden.

Nach dem russischen Einmarsch hat sich die Situation aber ohnehin völlig geändert: Minsk ist kein Thema. Fraglich ist auch, ob einzelne Länder wie eben Deutschland und Frankreich bei künftigen Verhandlungen im Vordergrund stehen werden - oder ob nicht ein Akteur auf die Bühne tritt, der bisher weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben war.

Noch zu Jahresanfang schien die EU auf die Rolle eines Zaungastes festgelegt. Trotz zahlreicher bilateraler Besuche in Kiew und einzelner Versuche, sich als Vermittler anzubieten - wie es etwa Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron getan hatte -, spielte sich die internationale Krisendiplomatie auf anderen Ebenen ab. Die USA waren für Russland eher ein Ansprechpartner als die EU, die Putin schlicht nicht ernst nehmen wollte.

Er hätte dabei auf die Schwächen der europäischen Außenpolitik verweisen können, auf das Einstimmigkeitsprinzip, das zu Beschlüssen auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners führt, auf die Differenzen unter den EU-Mitgliedern, die aus deren unterschiedlichen Interessen resultieren. Doch die vergangenen Tage zeigten, dass auch die EU durchaus ihre Reihen schließen kann. Eine relativ rasche Einigung auf Sanktionen gegen Russland, Geld nicht nur für humanitäre Hilfe, sondern auch für Waffenlieferungen für die Ukraine, die Bereitschaft quer durch Europa, hunderttausende Flüchtlinge aufzunehmen - all das schien noch vor kurzer Zeit unrealistisch. Doch der Druck, die Notwendigkeit, geeint gegenüber einem Aggressor aufzutreten, wirkte.

Die - für viele überraschende - Fähigkeit der Union, entschlossen zu handeln, hat Putin wohl unterschätzt. Dass die EU nun zu einer dauerhaften geopolitischen Größe aufsteigt, ist freilich dennoch nicht garantiert. Sie könnte aber in künftigen Verhandlungen mehr als die Rolle eines Zaungastes spielen. Sie kann ein Gestalter sein, der auch gehörig Druck ausüben kann.

Diplomatische Fantasie

Aber das ist noch Zukunftsmusik, und sämtliche Prognosen über den Verhandlungsverlauf sind derzeit hochspekulativ. Das Treffen am Montag konnte auch nicht viel mehr als eine erste Kontaktaufnahme sein. Derartige Gespräche dauern jedenfalls oft sehr lange, und die Diplomatie hat dabei viel Fantasie entwickelt, wie sie zwischen verschiedenen Parteien vermitteln und zumindest Lösungsvorschläge erarbeiten kann, wie etwa die jahrelangen Atomverhandlungen mit dem Iran zeigen. Diese werden in Wien ausgetragen, und auch im Russland-Ukraine-Konflikt hat sich Wien als Gesprächsort angeboten.

Verhandlungen bringen aber nur etwas, wenn beide Seiten tatsächlich verhandeln wollen. Es steht jedoch die Befürchtung im Raum, dass Putin, wie im Vorfeld der Invasion, wieder ein Täuschungsmanöver setzt. Dass er Verhandlungsbereitschaft nur vorgaukelt, um nach einem Scheitern der Gespräche auch für die eigene Öffentlichkeit einen Vorwand zu haben, die Ukraine in der Folge noch stärker zu bombardieren.