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Orbans Abhängigkeit von Putin

Von Alexander Dworzak

Politik

Ungarns Premier pflegt nicht nur in der Energiepolitik ein Naheverhältnis zu Russland.


Wer zur Burg spazieren und den großartigen Blick auf Budapest genießen möchte, startet zumeist von einem nahe gelegenen Verkehrsknotenpunkt. Jahrzehntelang hieß dieser Moszkva ter, Moskauer Platz. Nachdem Viktor Orbans Partei 2010 einen Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl erzielt hatte, schickte sich seine Fidesz an, kommunistische Spuren im Land zu tilgen. 2011 wurde der Platz nach Kalman Szell umbenannt, Ungarns Premier von 1899 bis 1903. Der Kampf ging so weit, dass dem niederländischen Braukonzern Heineken ein Verbot des Logos angedroht wurde - jenem roten Stern, den Ungarns Regierung als kommunistisches Symbol ausmachte.

Wesentlich weniger Hingabe zeigt Ungarns Premier, wenn es um die Erhebung der Bürger 1956 geht. Kaum ein Wort hat Orban in seiner Amtszeit darüber verloren, dass der Volksaufstand von Sowjettruppen niedergeschlagen wurde. Vielmehr pflegt er seit Jahren beste Kontakte zu jenem Mann, der KGB-Agent war und der den Zusammenbruch der UdSSR als größte geopolitischer Katastrophe des 20. Jahrhunderts sieht: Russlands Präsident Wladimir Putin.

Der Kontrast könnte derzeit kaum größer sein zu jenen beiden Ländern, in denen sich die Bürger ebenfalls gegen die sowjetischen Besatzer auflehnten: Tschechien (1968) und Polen (ab 1980). Die Regierungen in Prag und Warschau zählen dieser Tage zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine. Die Regierungschefs Petr Fiala und Mateusz Morawiecki fuhren sogar mit dem Zug ins Kriegsgebiet und trafen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Beide Länder liefern auch Waffen.

Keine einzige Patrone, nicht eine Panzerabwehrrakete stellt die Regierung in Budapest zur Verfügung. Orban behindert sogar aktiv Waffenlieferungen anderer Staaten für die Ukraine, diese dürfen nämlich nicht über ungarisches Territorium in das Nachbarland transportiert werden. "Wir dürfen auf keinen Fall in diesen Konflikt hineinrutschen", gab Orban gegenüber dem regierungsnahen Magazin "Mandiner" zu Protokoll.

Es ist ein Kurs, der in der Bevölkerung ankommt: Eine Woche vor der Parlamentswahl liegt Fidesz klar vor der Opposition. Ein heterogenes Bündnis aus Linken, Liberalen, Grünen und der einst offen rechtsradikalen Jobbik bildet eine Zweckgemeinschaft. Doch "Gemeinsam für Ungarn" liegt je nach Meinungsumfrage aus den vergangenen beiden Wochen zwischen drei und elf Prozentpunkten hinter Fidesz. Der Vorsprung hat sich seit Kriegsausbruch am 24. Februar sogar vergrößert; unmittelbar davor führte Fidesz mit zwei bis sieben Prozentpunkten.

85 Prozent der Gaslieferungen stammen aus Russland

"Gemeinsam für Ungarn" befürwortet Waffenlieferungen an die Ukraine - worin Orban "Abenteuerpolitik" und einen "Mangel an Verantwortungsbewusstsein" sieht. Er inszeniert sich als Staatsmann mit 30-jähriger außenpolitischer Erfahrung, der das Land mit ruhiger Hand durch die Krise führt.

Dabei kettet sich Orban energiepolitisch an Russland. Vergangenes Jahr wurde ein bis 2036 laufender Vertrag für Gaslieferungen abgeschlossen. Dadurch würde Ungarn nur ein Fünftel des derzeitigen Marktpreises in Europa bezahlen, merkte Putin an. Allerdings stieg der Marktpreis zuvor auf den bis zu siebenfachen Wert, und Verteuerungen schlagen sich im Vertrag zwischen Ungarn und Russland erst mit mehreren Monaten Verzögerung zu Buche. Putins Rechnung ist daher verzerrt, einen Rabatt erhält Orban aber allemal. "Keinerlei Argument spricht dafür, dass wir unsere energiepolitische Zusammenarbeit mit den Russen einstellen sollten", ließ Orban im März wissen.

Vergünstigungen hat Ungarn nötig, deckt es doch mehr als ein Drittel des Energieverbrauchs mit Gas, das wiederum zu 85 Prozent aus Russland stammt. Erneuerbare Energien spielen nur eine untergeordnete Rolle. Um die EU-Klimaziele zu erreichen, setzt Orban auf Atomstrom als "grüne Energie". Auch hierbei hat sich Ungarn völlig abhängig von Russland gemacht. Das in den 1980ern nach sowjetischer Bauart errichtete Atomkraftwerk Paks ist derzeit für 15 Prozent der Energieerzeugung verantwortlich. 2014 beschloss Orbans Regierung, dass zwei weitere Blöcke gebaut werden sollen - und zwar von der russisch-staatlichen Rosatom, trotz Angeboten aus Frankreich, Japan, Südkorea und den USA. Denn finanziert werden die damals auf zehn bis zwölf Milliarden Euro taxierten Meiler mittels eines staatlichen russischen Kredits. Das Projekt Paks stockt allerdings seit Jahren.

Die Nähe zwischen Orban und Putin mündete politisch nie in einem Kooperationsabkommen, wie es etwa die FPÖ mit "Einiges Russland" vereinbart hatte. Aber Orban ließ sich in der Corona-Krise für Putins Prestigeprojekt des russischen Impfstoffs Sputnik V einspannen; Ungarn erteilte eine nationale Notzulassung, während das Vakzin bis heute nicht von der Europäischen Arzneimittelagentur freigegeben worden ist. Auch kritisierte Ungarn stets die EU-Sanktionen gegen Russland nach dessen Annexion der Krim 2014.

Orban kennt jedoch die Grenzen seiner Einflussmöglichkeiten. Nach Kriegsbeginn in der Ukraine stimmte er mit den anderen EU-Ländern für Strafmaßnahmen gegen Russland. Zu isoliert wäre er bei einem Veto gewesen, neben den anderen ostmitteleuropäischen Visegrad-Ländern zählt auch der sonst Orban-treue slowenische Premier Janez Jansa zu den tatkräftigsten Unterstützern der Ukraine. Nicht alleine ist Orban hingegen mit seinem Nein zu einem Import-Stopp von russischem Öl und Gas. Und er bringt sich bereits für die Zukunft ins Spiel: Orban bietet Friedensverhandlungen in Budapest an.