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"Wir brauchen Medienwaffen gegen Orban"

Von Alexander Dworzak

Politik

Ein Klima von Hass und Neid herrsche derzeit in Ungarn vor, sagt Schriftsteller Gergely Peterfy.


Anlässlich der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag ist Gergely Peterfy kurzzeitig in seine Heimat Ungarn zurückgekehrt. Vor zwei Jahren ließ sich der Schriftsteller in Italien nieder, mit Schrecken verfolgt er die autoritäre Wende Ungarns unter Premier Viktor Orban. Der Regierungschef erzielte nun einen fulminanten Wahlsieg, die Regierungsparteien verfügen weiter über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament und können die "illiberale Demokratie" nach Belieben gestalten - wie bereits in den vergangenen knapp zwölf Jahren. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" malt Peterfy ein düsteres Bild Ungarns.

"Wiener Zeitung": Welche Gefühle gingen Ihnen durch den Kopf, als das Wahlergebnis feststand?

Gergely Peterfy: Meine Frau und ich haben es mit kaltem Blut zur Kenntnis genommen. Ich rechnete nie mit einem Sieg des Oppositionskandidaten Peter Marki-Zay. Es war ein Fehler, dass ein Erzkonservativer die linksliberal gefärbte Opposition anführt.

Aber die Alternative zu Marki-Zay wäre Klara Dobrev gewesen. Deren Gatte ist der bei vielen verhasste Ex-Premier Ferenc Gyurcsany. Orbans Partei Fidesz hätte das sicher instrumentalisiert.

Ja, der Name Gyurcsany gilt als Schimpfwort, auf Dobrevs Schultern liegt eine schwere Last. Die Opposition muss sich nach der Niederlage völlig neu ausrichten. Orban hat die Ent-Europäisierung Ungarns fast vollendet. Die Menschen leben in einem Paralleluniversum, da er sich die Medien Untertan gemacht hat.

Was bedeutet das in der Praxis?

Die Stimmung ist vergiftet, es herrscht ein Klima von Hass und Neid. In den vergangenen sechs Jahren wurde es immer unerträglicher.

Sie meinen nach der Flüchtlingskrise, die Orban instrumentalisiert hat?

Ja. Seine Politik hat damals eine Wende genommen, die direkt in die Autokratie führt. Es ist die Putinisierung Ungarns.

Welche Konsequenzen hatte diese politische Wende für Sie?

Ich bin einer der meistgelesenen Autoren Ungarns, meine Bücher zählen zu den bestverkauften. Und dennoch bin ich in den vergangenen Jahren kaum zu Wort gekommen in öffentlichen Medien oder jenen privaten, die Orban-nahen Unternehmern gehören. Meine Schwester, Bori Peterfy, ist Sängerin. Sie hat keine Möglichkeit, auf Festivals aufzutreten, bei denen staatliche Gelder im Spiel sind. Generell gibt es kein Geld für oppositionelle Künstler. Auch werden Staatsanwälte und Finanzämter als politische Waffen benutzt. Ungarn ist heute ein Parteistaat wie zu Zeiten der KP. Wer gegen Orban ist, wird zwar nicht direkt vertrieben und landet auch nicht im Gefängnis. Aber er oder sie kann kein besseres Leben führen. Hunderttausende sind deswegen ausgewandert.

Sie selbst leben in Todi in der Provinz Perugia. Warum ausgerechnet Italien?

Ich habe immer gehofft, ein paar Jahre in Italien verbringen zu können. In der Gegend sind Wohnen und Leben leistbar. Und es passt gut, dass in Umbrien der Roman "Reise im Mondlicht" von Antal Szerb spielt, eines der wichtigsten Werke der ungarischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Ich habe darauf aufbauend ein Touristik-Unternehmen etabliert, wir empfangen ungarische Gruppen.

Gergely Peterfy zählt zu den meistgelesenen Autoren Ungarns.
© Fiala de Gabor

Erwarten Sie nach der Wahl eine weitere Auswanderungswelle oder ist bereits im Ausland, wer kann?

Es werden weitere Personen Ungarn verlassen. Alleine ich habe in den vergangenen Tagen dutzende Anfragen von Personen erhalten, ob ich bei der Suche nach Job oder Quartier in Italien behilflich sein kann.

Zu den Dagebliebenen: Die Opposition erreichte bei der Wahl nur in Städten, in Pecs, Szeged und Budapest die Mehrheit. Wie begegnen einander Bürger von Stadt und Land, ist das ein wechselseitiges Kopfschütteln - oder begegnen sie einander überhaupt nicht?

Facebook ist derzeit voll mit Erzählungen von städtischen Wahlbeobachtern, die schreiben, sie seien in der Provinz auf stinkende Menschen ohne Zähne gestoßen. Niemand von ihnen dachte, dass in Ungarn derart arme Personen leben. In der Provinz herrscht aber auch Untertanenschaft - ohne Aussicht, dort rauszukommen. Fidesz kennt diese Gegenden sehr gut, baut auf Bürgermeister, Ärzte, Lehrer und Lokalbesitzer.

Auf europäischer Ebene startet die EU-Kommission nun den Rechtsstaatsmechanismus, Milliarden an Finanzmitteln für Ungarn könnten eingefroren werden. Europäische konservative Parteien und Regierungen deckten aber lange Zeit Orban. Sind Sie enttäuscht, dass im Lauf der Jahre nicht mehr gegen ihn unternommen wurde?

Ja und nein. Prinzipiell ist es Aufgabe der Ungarn, das Problem Orban zu lösen. Zugleich herrscht ein kalter Bürgerkrieg. In die Ukraine muss man Waffen liefern. Ungarn benötigt Medienwaffen. Ein von der EU finanzierter TV-Sender sollte gegründet werden, der auch auf Ungarisch ausgestrahlt wird, damit die Leute vor Ort endlich wissen, was in Ungarn passiert. Wie im Kalten Krieg, als "Radio Free Europe" den Bürgern die Wahrheit erzählte. Orban ist gefährlicher denn je nach seinem Wahlsieg, mit dem er protzen kann. Europa darf nicht zusehen, wie Ungarn vollends in die Autokratie abgleitet. Auf Autokratien folgt der Krieg.

Gibt es überhaupt eine Chance auf Abwahl Orbans?

Nein. Nur eine historische Katastrophe oder ein nicht vorhersehbares Ereignis könnten dazu führen.

Wird Orban irgendwann einen Nachfolger aufbauen oder möchte er Premier bis ans Lebensende bleiben?

Ich denke, er möchte im Amt bleiben. Unter den Personen, die ihn umkreisen, gibt es auch keine Figur, die ähnlich stark ist.

Orban kann den Ungarn vieles nehmen, aber nicht Literatur, Sprache, Kultur. Tröstet Sie zumindest das?

Ja. Ungarn derzeit ist für mich ein kultureller Zustand, kein politisches Wesen.

Von Gergely Peterfy erschien zuletzt auf Deutsch der Roman "Der ausgestopfte Barbar", der von der Freundschaft des Wiener "Hofmohren" Angelo Soliman und des ungarischen Dichters Ferenc Kazinczy handelt (Nischen Verlag).