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Pleite für Deutschlands Kanzler Scholz

Von Alexander Dworzak

Politik

Die Abgeordneten der Ampelkoalition können sich nicht auf Corona-Impfpflicht einigen.


Anwesenheit war Pflicht. Kanzler Olaf Scholz berief sogar Außenministerin Annalena Baerbock vom Nato-Treffen in Brüssel zurück nach Berlin. Denn im Bundestag stand am Donnerstag die Abstimmung über eine Corona-Impfpflicht in Deutschland an. Weil die Gräben zwischen Befürwortern und Gegnern auch innerhalb der Koalition aus SPD, Grünen und FDP verliefen, wurde der Fraktionszwang aufgehoben. Deswegen zählte potenziell jede Stimme. Entscheidend war die Baerbocks dann aber nicht, denn die Gegner des Gesetzesvorhabens bildeten eine deutliche Mehrheit mit 378 Abgeordneten. Nur 296 befürworteten die Vakzinierung, neun Mandatare enthielten sich.

Das Ergebnis ist eine herbe Niederlage für Kanzler Scholz. Jenen Mann, der als SPD-Bundesgeschäftsführer, Arbeits- und Finanzminister über jahrzehntelange Erfahrung im parlamentarischen Betrieb verfügt, bekam keine Mehrheit zustande. Dabei versprach Scholz Ende des vergangenen Jahres, die Impflicht werde spätestens Ende März kommen. Dem Kanzler schwebte eine verpflichtende Impfung für alle Personen über 18 Jahren vor.

Kompromissvorschlag fällt durch

Angesichts weniger schwerer Krankheitsverläufe bei der Omikron-Welle gegenüber der Delta-Variante stand des Kanzlers Vorhaben seit Monaten auf wackligen Koalitionsbeinen. Nicht nur, aber insbesondere Abgeordnete der liberalen FDP sträubten sich. So kam es, dass in der Woche vor der Abstimmung erst 220 Mandatare der drei Regierungsparteien für die Impfpflicht ab 18 fix feststanden. Dabei verfügen Rot, Grün und Gelb über 416 Stimmen im Deutschen Bundestag. Selbst die notwendige absolute Mehrheit von 369 Mandaten wäre leicht möglich gewesen, hätte sich die Zahl der Abweichler in Grenzen gehalten.

Um die Impfpflicht doch noch zu retten, wurden am Tag vor der Abstimmung zwei Gesetzesentwürfe zu einem Kompromiss zusammengeführt: jener der Impfpflicht ab 18 mit dem Vorhaben, alle über 50-Jährigen zu impfen. Heraus kam, dass Personen ab 60 Jahren verpflichtend das Vakzin erhalten sollen. 18- bis 59-Jährige müssten zumindest ein Impfberatungsgespräch führen. Erfolglos.

Die Abstimmungsniederlage dürfte demnächst die Pflichtimpfung für Gesundheitspersonal zu Fall bringen; sie gilt seit März.

Neben Scholz sehen nun jene schlecht aus, die im parlamentarischen Alltag die Mehrheiten organisieren, die Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Katharina Dröge und Britta Haßelmann (Grüne) und Christian Dürr (FDP). Auch der ehemalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, mittlerweile zum Generalsekretär aufgestiegen, machte sich für die Impfung stark und zählt nun zu den Verlierern.

"Ihr wolltet ihn. Ihr bekommt ihn." Mit diesen Worten verkündete Kühnert einst auf Twitter, dass Karl Lauterbach Gesundheitsminister wird. Der stand während der schwarz-roten Vorgängerregierung auf dem parlamentarischen Abstellgleis. Doch seine unermüdliche Präsenz als Warner vor dem Coronavirus verschaffte ihm ein Comeback. Als Minister enttäuschte Lauterbach aber laufend jene, die auf einen strikten Kurs in der Pandemiebekämpfung setzen.

Epidemiologe gegen Politiker Lauterbach

Der Epidemiologe Lauterbach hält die Lage weiter für angespannt und will keine Entwarnung geben. Der Politiker Lauterbach macht aus Koalitionsräson genau das. Zuletzt mit dem Plan, dass sich Covid-Infizierte ab Mai nur mehr freiwillig in Isolation begeben sollen. Nach herber Kritik nahm der Minister das Vorhaben zurück. Zur Abstimmung am Donnerstag unkte er: "Jetzt wird die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer werden", und gab zugleich Durchhalteparolen aus: "Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen. Wir machen weiter."

Der letzte Satz Lauterbachs bedeutet aber kein etwaiges Ende der Regierung, so folgenreich war die Abstimmungsniederlage nicht. Oppositionschef Friedrich Merz kann dennoch aus taktischer Sicht zufrieden mit der mangelnden Einheit der Regierungsparteien sein. Er wollte nicht, dass die Abgeordneten von CDU/CSU in die Bresche springen, aber auch nicht als Impfgegner auftreten. Also brachte die Union ein Gesetz für einen mehrstufigen Impfmechanismus ein, der bei neuen Virusvarianten und Impfschutzlücken aktiviert werden sollte. Gescheitert sind auch zwei Anträge gegen eine allgemeine Impfpflicht: einer stammte von Abgeordneten um Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP), der zweite von der AfD.

Die Abstimmung im Bundestag wurde auch von den heimischen Parteien aufmerksam verfolgt; in Österreich liegt die Impfpflicht auf Eis, ein definitives Nein gibt es aber noch nicht.