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"Russland ist ein großer Uran-Exporteur"

Von Alexander Dworzak

Politik

Die deutsche Grüne Mona Neubaur hält nichts von einer längeren Laufzeit der Atomkraftwerke in der Bundesrepublik.


Das bevölkerungsstärkste deutsche Bundesland, Nordrhein-Westfalen, kurz NRW, wählt in einem Monat. Mit 18 Millionen leben dort doppelt so viele Menschen wie in Österreich bei nicht einmal der Hälfte der Fläche. Die CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst regiert seit 2017 mit der FDP. Zuletzt musste Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zurücktreten. Sie stolperte über eine Mallorca-Reise - angetreten nur zwei Tage nach der Flutkatastrophe 2021 Vor der heißen Phase des Wahlkampfs war die grüne Spitzenkandidatin Mona Neubaur auf Kurzbesuch in Wien.

"Wiener Zeitung": Sie kommen von einem Termin mit Ihrer Grünen-Kollegin, Österreichs Klimaministerin Leonore Gewessler. Worin kann Österreich als Vorbild dienen?

Mona Neubaur: Ganz klar bei der Mobilitätswende. Das Klimaticket ist ein äußerst attraktives Angebot, um vom eigenen Auto auf Bahn und Bus umzusteigen.

In Österreich koalieren die Grünen mit der ÖVP, in Nordrhein-Westfalen bestehen noch die traditionellen politischen Blöcke. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert regieren entweder Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Können Sie sich eine Koalition mit der CDU vorstellen?

Wir werben um Vertrauen für unsere Inhalte, und wir haben das klare Wahlziel, das beste grüne Landtagswahlergebnis in NRW zu holen (12,1 Prozent 2010, Umfragen sagen derzeit 15 bis 17 Prozent voraus, Anm.). Wir gehen eigenständig und selbstbewusst in den Wahlkampf. Uns leitet nicht eine Zuteilung in farbliche Lager, sondern das Angebot, als politischer Vollsortimenter Zukunft zu gestalten. Hart verhandeln können wir. Dabei gibt es keinen Ausschluss mit Ausnahme der AfD.

Gibt es Inhalte, die für Sie unabdingbar sind?

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel beim Klimaschutz, Tempo beim Ausbau von Sonnen- und Windenergie und mehr gesellschaftliche Teilhabe. Man ist gut aufgestellt, wenn man nicht mit dem Prinzip von roten Linien im Wahlkampf unterwegs ist. Es gilt, Unterschiede klarzumachen und trotzdem Kompromissfähigkeit zu behalten.

Sie wollen NRW zur "ersten klimaneutralen Industrieregion Europas" machen. Wie sieht Ihr Plan konkret aus?

Wir müssen aus Eigeninteresse, um der Deindustrialisierung entgegenzuwirken, die erneuerbaren Energien ausbauen. Die Klimaneutralität wird darüber entscheiden, ob die Wirtschaft in NRW zukunftsfähig bleibt. Ob wir die Innovation in den Hochschulen auch in Arbeitsplätze übersetzen und damit Wohlstand für künftige Generationen generieren. Die momentane pauschale Abstandsregel von 1.000 Metern bei Windrädern hemmt den Ausbau der erneuerbaren Energien nachweislich. Wir wollen die Regel abschaffen, 1.000 neue Windräder in den kommenden fünf Jahren und Photovoltaikanlagen entlang der 2.000 Kilometer Autobahn in Nordrhein-Westfalen bauen. Für Konsumenten wollen wir die Verbraucherzentralen stärken, damit die Menschen bei den Themen Energieeffizienz und Förderung besser beraten werden.

Bis wann soll Nordrhein-Westfalen klimaneutral sein?

Bis zum Jahr 2040.

Inwieweit müssen Ihre Pläne nach dem russischen Angriff auf die Ukraine adaptiert werden?

Der Faktor Zeit verändert sich dramatisch. Die Unabhängigkeit von Gas-, Kohle- und Ölimporten wird viel schneller notwendig. Wir müssen in der Verkehrswende und beim Sanieren von Gebäuden und Infrastruktur deutlich ambitionierter werden.

Die entsprechenden Programme lassen sich aber nicht von heute auf morgen implementieren. Der Krieg tobt heute, morgen und übermorgen weiter. Wie soll die Politik in der Zwischenzeit mit dem Problem umgehen?

Energieeffizienz und Energieeinsparung ist ein wesentlicher Faktor. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die FDP weiter das Tempolimit auf den deutschen Autobahnen bekämpft. Das wäre ein ganz einfaches Mittel, schnell umgesetzt. Für den Übergang sind auch pragmatische Zwischenschritte notwendig. Wir müssen zwingend die Quellen fossiler Energien diversifizieren.

Die rot-grün-gelbe Bundesregierung in Berlin versucht, den vorzeitigen Ausstieg aus der Kohle zu halten, im Jahr 2030 statt 2038. Sind Sie dafür, dass das Ende der Kohleverstromung auf jeden Fall 2030 erfolgt?

Es ist notwendig, dass wir Sicherheitsreserven schaffen und Kohlekraftwerke in Bereitschaft halten, um die Energieversorgung zu gewährleisten. Und trotzdem müssen wir so schnell wie möglich raus aus der Kohle. Die Klimakrise nimmt ja keine Auszeit. Rein in die Erneuerbaren, flankiert durch grünen Wasserstoff, damit wir den Ausstieg 2030 schaffen.

Die Industrie- und Handelskammern des Rheinlandes warnen vor einer Stromlücke. Die Versorgungssicherheit sei nicht gewährleistet, zum Beispiel für die chemische Industrie. Wie können Sie im Industrieland NRW die Unternehmen beruhigen?

Aus den vielen Gesprächen, mit großen Chemieunternehmen bis hin zur kleinen Metallbaumeisterin, weiß ich, dass die Unternehmen viel weiter sind, als die Politik denkt. Die Zukunftspläne für Klimaneutralität haben die Unternehmen längst erarbeitet. Die Klimakrise spiegelt sich nämlich auch am Kapitalmarkt wider, der CO2-Preis macht Klimaneutralität zu einem zukunftsfähigen Geschäftsmodell. Betriebe wollen daher von der Politik einen klaren Rahmen für ihre Zukunftsinvestitionen.

Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) schlug vor, die drei deutschen Atommeiler von 2023 bis 2029 in Betrieb zu halten. Wäre das eine Option?

Das wurde vom Bundeswirtschaftsministerium ernsthaft geprüft mit dem Ergebnis, dass es keine kurzfristige Lösung ist. Herr Pinkwart müsste wissen, dass eine Verlängerung der Laufzeiten drei bis vier Jahre dauert, weil dem eine umfangreiche Sicherheitsprüfung vorausgehen müsste.

Warum so lange?

Die Sicherheitsanforderungen sind zu Recht sehr hoch, die letzten Überprüfungen liegen Jahre zurück. Hier geht es schließlich um Atomkraftwerke, da müssen strengste Maßstäbe angelegt werden. Aktuell sind die Kraftwerke für den Betrieb bis Ende 2022 ausgelegt - nicht darüber hinaus. Sie müssten nahezu kernsaniert werden, das dauert ziemlich lange. Darüber hinaus fehlt es auch an Fachkräften und Brennstäben. Man kann auch nicht ignorieren, dass Russland ein großer Uran-Exporteur ist.

Sie stellen sich im Krieg klar auf die Seite der Ukraine, an der Fassade Ihrer Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf prangt eine riesige Ukraine-Flagge. Sie befürworten auch Waffenlieferungen an die Ukraine. Hatten Sie mit diesem Kurs Schwierigkeiten bei Sympathisanten und Funktionären? Schließlich sind die Grünen ein Kind der Friedensbewegung.

Es gibt natürlich großen Debattenbedarf bei uns, dem wir aber durch viel Information und Dialog nachkommen. Das sind durchaus schmerzhafte Prozesse. Ich bin stolz auf meine Partei, dass sie sich ihrer Relevanz als politische Kraft bewusst ist und entsprechend handelt. Aber klar ist, dass sich der Sicherheitsbegriff erweitert hat, er zeigt sich in den vielen Milliarden Euro für militärische Sicherheit, für humanitäre Hilfe, in Milliarden für die Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen und Entlastungspaketen für Bürger.

Was bedeutet die jetzige Situation für den Umgang mit China und dessen immer autoritäreren Tendenzen?

Der Ukraine-Krieg zeigt uns, wie eine Welt aussieht, in der das Recht des Stärkeren zur Handlungsmaxime wird. Das müssen wir mit den Mitteln, die uns wirtschaftlich und diplomatisch zur Verfügung stehen, verhindern. Wir müssen es als starkes und geeintes Europa wieder schaffen, völkerrechtliche Regelungen zum globalen Maßstab unseres Zusammenlebens zu machen.

Aber wir sehen gerade den verzweifelten Versuch, das Recht des russischen Stärkeren durch Waffenlieferungen an die Ukraine auszugleichen.

Das ist für den Moment richtig, weil die Ukraine auch für unsere Werte angegriffen wird. Langfristig will ich das aber nicht als Zukunftsvision akzeptieren.

Im Moment macht Deutschland einen großen Sprung. Erst wollte es nur Helme liefern, mittlerweile wird die Ukraine unter anderem mit Luftabwehrraketen, Panzerfäusten und Maschinengewehren versorgt. Soll Deutschland auch schwere Waffen wie Panzer liefern?

Wir erleben jeden Tag neue Eskalationen durch Wladimir Putins Armee. Er führt Krieg gegen die Menschen in der Ukraine und unser demokratisches Wertesystem, nutzt die Möglichkeiten maximal aus, uns zu erpressen. Ich will nicht ausschließen, dass die Bundesrepublik schwere Waffen liefern muss.