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Ein Skandal zu viel

Politik

Der Leiter der EU-Grenzschutzagentur tritt zurück. Die Probleme in Europas Asylpolitik bleiben.


Seit Jahren kehrt keine Ruhe bei Frontex ein, sorgt die Grenzschutzagentur der Europäischen Union für negative Schlagzeilen. Chaotisches Management und Ineffizienz konstatierte der Europäische Rechnungshof 2021, auch Vorwürfe gegen Mitarbeiter wegen Belästigung wurden laut. Im Zentrum der Kritik an der in Warschau angesiedelten Behörde steht jedoch seit Jahren ein Vorwurf: die illegale Zurückweisung von Asylwerbern an den Außengrenzen der Union unter Billigung von Fontex-Leiter Fabrice Leggeri.

Sogenannte Pushbacks wurden insbesondere im Mittelmeer an der griechisch-türkischen Grenze gemeldet. Die Rechtslage ist eindeutig: Sobald sich die kleinen Boote in griechischen Gewässern befinden, haben die Insassen die Möglichkeit, einen Asylantrag in dem EU-Mitgliedsstaat zu stellen. Um das zu verhindern, wurden die Menschen von der griechischen Küstenwache in Rettungsflößen in türkische Gewässer zurückgeschleppt und dort ihrem Schicksal überlassen. Frontex assistierte, indem es die Boote der Migranten ortete und stoppte.

Aufgrund der Vorwürfe wurde bereits die EU-Betrugsbehörde Olaf eingeschalten. Die Veröffentlichung des 200-seitigen Ermittlungsberichts hat Frontex über Wochen verhindert, nicht einmal die EU-Abgeordneten als Kontrollorgan der Behörde sollten ihn zu Gesicht bekommen. Laut dem französischen Magazin "Le Point" wird Leggeri darin vorgeworfen, "Verfahren nicht eingehalten und sich illoyal gegenüber der EU erwiesen zu haben".

Am Freitag bot der Franzose seinen Rücktritt an. Entscheidend dafür waren zu Wochenmitte veröffentlichte Recherchen des deutschen "Spiegel" und des niederländischen Netzwerks "Lighthouse Reports". Diesen zufolge habe Frontex die Pushbacks in einer Datenbank dokumentiert und unter dem Begriff "Verhinderung der Ausreise" vermerkt. An 22 illegalen Zurückweisungen mit 957 Menschen alleine zwischen März 2020 und September 2021 seien Frontex-Beamte beteiligt gewesen. In diesen Fällen seien Fotos oder andere Beweise vorgelegen. Die tatsächliche Zahl der Pushbacks liege laut "Spiegel" aber "höchstwahrscheinlich noch höher".

Aufgrund der Beweislast war Leggeri nicht mehr haltbar. Seine Ablöse beschloss der Frontex-Verwaltungsrat am Freitag. Dem Gremium gehören zwei Mitglieder der EU-Kommission an sowie und Vertreter der Leiter von Grenzbehörden jener EU-Staaten, die den Schengen-Bestimmungen unterliegen. Sie wählen auch die Nachfolge Leggeris, er stand seit 2015 an der Spitze von Frontex. Übergangsweise übernimmt Aija Kalnaja, Ex-Vizechefin von Lettlands Polizei.

Unter Leggeri ist Frontex enorm aufgewertet worden. 2004 im Zuge der EU-Osterweiterung mit einem Budget von 16 Millionen Euro gegründet, waren 460 Millionen Euro an Budgetmitteln im Jahr 2020 veranschlagt. Bis 2027 ist eine annähernde Verdoppelung auf 900 Millionen Euro geplant, 10.000 Grenzschutz- und Küstenwachbeamte sollen dann ihren Dienst tun.

Asylanträge gestiegen

Diese Entwicklung ist untrennbar mit der Migrationskrise ab Sommer 2015 verbunden. Frontex soll nun dabei helfen, die EU-Außengrenzen bestmöglich abzuschotten und die Zahl der Asylwerber möglichst gering zu halten. Denn in der Union steht auch nach jahrelangen Verhandlungen eine Reform der Verteilung von Asylwerbern aus. Das derzeitige System der Dublin-Verordnung, wonach jenes EU-Land verantwortlich ist, in dem der Antragsteller erstmals Unionsboden betreten hat, benachteiligt die Mittelmeer-Anrainer deutlich.

Vom Höchststand von 1,2 Millionen Asylanträgen 2015 in der EU ist die Union zwar deutlich entfernt. Aber auf 417.000 Personen im ersten Corona-Jahr, 2020, folgte 2021 ein deutlicher Anstieg auf 535.000 Erstanträge.

Das Grundrecht auf Asyl gilt dabei für schutzbedürftige Personen, etwa infolge eines Krieges - jedoch nicht für Menschen, die in der EU bessere wirtschaftliche Lebensbedingungen als in ihrer armen, aber sicheren Heimat suchen. Schaffen sie doch den Weg in die EU und droht die Abschiebung, zeigen Herkunftsländer - etwa aus dem Maghreb - oft wenig Interesse, ihre Bürger wieder aufzunehmen.

EU-Länder haben wiederum kein Interesse, dass diese Asylwerber Unionsboden betreten. Sie nehmen in Kauf, mit Pushbacks gegen europäisches Recht zu verstoßen. Griechenland ist kein Einzelfall: Aus Kroatien werden ebenfalls regelmäßig illegale Zurückweisungen gemeldet. Auch die Situation auf Malta ist prekär. Erst diese Woche wurde eine Klage der NGO Sea Watch gegen Frontex vor dem EU-Gerichtshof bekannt. Denn im vergangenen Jahr soll ein Boot in der Such- und Rettungszone vor der Insel von der libyschen Küstenwache abgefangen und wieder in das nordafrikanische Land gebracht worden sein. Eine Frontex-Drohne soll dabei gesichtet worden sein.

In Libyen herrschen katastrophale Zustände: Personen, die auf dem Weg nach Europa dort hängenbleiben, landen in der Sklaverei, werden gefoltert und vergewaltigt. Doch die EU braucht das Land ebenso wie den autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um die Außengrenzen so dicht wie möglich zu halten. (da)