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"Charakter einer Großbürokratie"

Von Alexander Dworzak

Politik

Geldmangel sei nicht das Hauptproblem der Bundeswehr in der Zeitenwende, sagt Politologe Staack.


Die Folgen von Russlands Krieg in der Ukraine sind bei der deutschen Bundeswehr noch nicht angekommen - zumindest auf deren Webseite. Dort ist von einer Erhöhung des Verteidigungsbudgets auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis 2024 die Rede. Von mehr als zwei Prozent des BIP, "von nun an, Jahr für Jahr", sprach hingegen Olaf Scholz bereits Ende Februar. Drei Tage nach Beginn der russischen Invasion verkündete der deutsche Kanzler in seiner historischen Rede im Bundestag die "Zeitenwende".

100 Milliarden Euro zusätzlich erhält die Bundeswehr, von der Regierung als "Sondervermögen" tituliert. Das ist doppelt so viel, wie das Heeresbudget 2022 laut dem ursprünglichen Plan ausgemacht hätte. Dazu befürwortet Deutschland harte Sanktionen gegenüber Russland - zuletzt gesehen beim Ölembargo, das Wirtschaftsminister Robert Habeck in Europa vorangetrieben hat. Überhaupt ist der Grüne maßgeblich an der Kehrtwende der Energiebeziehungen zu Russland beteiligt. Die Umsetzung der Bundeswehr-Reformen liegt bei der Kanzlerpartei SPD, in den Händen von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Expertise konnte die vormalige Familien- und Justizministerin bei Amtsantritt jedoch ebenso wenig vorweisen wie ihre konservativen Vorgängerinnen Ursula von der Leyen (2013-2019) und Annegret Kramp-Karrenbauer (2019-2021).

Nur vier von zehn Hubschraubern einsatzbereit

Lambrecht übernahm vergangenen Dezember eine Armee, die in mehreren Bereichen am Limit arbeitet. Nur rund drei Viertel der Hauptwaffensysteme sind einsatzbereit, von den Hubschraubern gar nur vier von zehn, stellte das Verteidigungsministerium in einem Bericht im Jänner fest. "Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da", setzte Heeresinspekteur Alfons Mais am Tag der russischen Invasion die ultimative Warnung ab. "Deutschland hat ein großes Problem bei Beschaffung und Ausrüstung", pflichtet Michael Staack, Professor an der Universität der Bundeswehr Hamburg, bei.

Dabei floss seit der Amtszeit der jetzigen EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stetig mehr Geld in die Armee. Längst vorüber sind die Zeiten, als nach dem Kalten Krieg die "Friedensdividende" eingestrichen wurde, Verteidigungsetats schrumpften. Seit 2014 ist das Budget um mehr als 40 Prozent gestiegen. Doch ein Gutteil des Geldes versickert in der Verwaltung: "Die Bundeswehr hat den Charakter einer Großbürokratie", kritisiert Staack, der diese Woche bei einem Symposium der Landesverteidigungsakademie Wien referierte.

Laut Daten, welche die "FAZ" publiziert hat, entfielen mehr als die Hälfte des jährlichen Wehretats auf Personalausgaben, Altersversorgung und Verwaltung. Beschaffungsvorhaben machten 19 Prozent aus, die Instandhaltung des Materials knapp zehn Prozent. Bei Nachbar Frankreich verhalte es sich umgekehrt: Knapp mehr als 50 Prozent des Etats 2021 entfiel auf neues Wehrmaterial und dessen Wartung. Personalkosten machten rund ein Viertel aus.

Verteidigung vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer

Unter diesen Bedingungen erstaunt es weniger, dass Kanzler Scholz eingestand, Deutschland könne keine schweren Waffen wie Panzer aus den Beständen der Bundeswehr an die Ukraine liefern. Die Armee könne nichts entbehren, denn sonst wäre der verfassungsmäßige Auftrag nicht erfüllbar. Kernaufgabe ist die Verteidigung Deutschlands gegen militärische Angriffe, die aber nicht nur auf dem Territorium der Bundesrepublik stattfindet. Infolge der russischen Gebietsgewinne erwartet Michael Staack eine Vorneverteidigung der Nato, also eine Positionierung möglichst weit im Osten, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Hierfür werde die Bundeswehr wohl einen Beitrag leisten.

Womit man wieder beim Personalproblem landet. Das Finden von geeigneten Personen sieht Dan Krause, ebenfalls Forscher an der Universität der Bundeswehr, als größtes Problem an. Er berichtete in Wien von seinem Vorschlag einer deutsch-polnisch-litauischen Panzerbrigade. Deutschland hätte Geld und Industriekapazitäten, das Personal würden die anderen Länder stellen. Sein Vorstoß sei aber abgetan worden, sagt der ehemalige Bundeswehr-Pilot.

Krause hofft, dass in der deutschen Armee nach dem konzeptionslosen Schrumpfen in der Vergangenheit nun nicht konzeptionslose Budgeterhöhungen angesagt sind. Im Bundestag haben die entsprechenden Beratungen der Fraktionen zum "Sondervermögen" bereits begonnen. Dieses ziele Staack zufolge nicht nur auf Russland, sondern die Rolle der EU: "Europa wird ernster genommen, wenn man die Streitkräfte ernst nimmt." Und die Union muss lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Das hat die Amtszeit von Donald Trump gezeigt. Politologe Staack resümiert mit Blick auf Joe Biden, den mäßig beliebten Transatlantiker im Weißen Haus: "Die Verlässlichkeit der Vereinigten Staaten gilt nur für eine Legislaturperiode."