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Die Rebellion gewinnt an Fahrt

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik
Boris Johnson steckt in Schwierigkeiten.
© reuters / Kerry

Immer mehr Tory-Abgeordnete überzeugt, dass Misstrauensabstimmung gegen Premier Johnson nächste Woche startet.


Großbritanniens Premier Boris Johnson sieht sich einer rasch wachsenden Rebellion in der eigenen Partei gegenüber. Immer mehr Tory-Abgeordnete sind davon überzeugt, dass das Quorum für eine Misstrauensabstimmung bereits erreicht ist - und dass die Abstimmung nächste Woche stattfinden wird. Sollte Johnson eine solche Abstimmung in der Fraktion verlieren, müsste er als Partei- und Regierungschef abtreten.

Seit der Veröffentlichung des Sue-Gray-Reports zu den Lockdown-Partys in der Regierungszentrale haben ihn täglich immer neue Abgeordnete zum Rücktritt aufgefordert, darunter hochrangige Tories wie der frühere Generalstaatsanwalt Jeremy Wright, der dem Premier vorwirft, den politischen Institutionen der Insel "echten und dauerhaften Schaden" zugefügt zu haben. Auch die konservativen Vorsitzenden des Justiz-, des Verteidigungs- und des Außenpolitischen Ausschusses im Unterhaus haben sich offen für ein unverzügliches Ende der Amtszeit Johnsons ausgesprochen.

Insgesamt müssen mindestens 54 Fraktionsmitglieder eine Misstrauensabstimmung gutheißen, bevor diese stattfinden kann. 28 Tories haben nach eigener Auskunft die Abstimmung schriftlich gefordert. Die übrigen Anträge sollen auf vertrauliche Weise eingereicht worden sein. Nur der Vorsitzende des zuständigen Fraktionsausschusses "1922 Committee", Sir Graham Brady, weiß, wann die 54 "Briefe" an ihn eingetroffen sind und er eine Abstimmung ansetzen muss.

Vermutet wird in Westminster, dass Brady das Erreichen des Quorums in einem solchen Fall nächste Woche bekanntgeben würde. Diese Woche tagt das Parlament nicht. Es macht Ferien. Und die Jubiläumsfeiern der Königin stören will Brady in den nächsten Tagen wohl kaum. Einige eher skeptische Rebellen erklärten am Dienstag, sie erwarteten die Abstimmung über Johnson erst Ende Juni - so sich gegenwärtige Voraussagen erfüllen und ihre Partei bei zwei parlamentarischen Nachwahlen am 23. Juni dramatisch verliert.

Generell wächst jedenfalls derzeit das Gefühl in der Fraktion, dass die nächsten Unterhauswahlen mit Johnson nicht zu gewinnen sind. In der Gesamtbevölkerung, aber auch unter Tory-Wählern, genießt der Regierungschef kaum noch Respekt. Er ist allen Umfragen zufolge gänzlich unpopulär geworden. Der Londoner "Times" zufolge würde er, wenn heute Wahlen wären, sogar seinen eigenen Wahlkreis Uxbridge, im Westen Londons, verlieren.

Auch zahlreiche seiner Fraktionskollegen fürchten, dass sie nach den jüngsten Enthüllungen über die Lockdown-Partys in Gefahr sind, in ihren Wahlkreisen abgewählt zu werden.

Im Süden Englands rechnen sich die Liberaldemokraten und im Norden die Labour Party gute Chancen gegen die Konservativen aus. "Der gegenwärtigen Entwicklung zufolge werden wir die nächsten Wahlen verlieren", ist sich Tobias Ellwood sicher, der den Verteidigungs-Anschuss leitet. "Nicht nur herrscht Besorgnis, was die Verhaltensweisen in No 10 Downing Street angeht - weil man damit mächtig Vertrauen verloren hat in der Bevölkerung. Es gibt jetzt auch Sorgen zur Politik in No 10."

"Völlig verdrehte" Idee

Gemeint ist damit, dass Boris Johnson zu Beginn dieser Woche signalisiert hat, dass er scharf nach rechts steuern will, um neue Wählerzustimmen für die Tories zu mobilisieren. Unter anderem hat die Regierung angekündigt, dass sie zu imperialen Maßen zurückkehren und das Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens mit der EU einseitig ändern möchte. Fracking soll endgültig erlaubt werden, trotz allen ökologischen Widerstands. Von den Flüchtlingen, die in kleinen Booten "illegal" über den Ärmelkanal kommen, sollen immer mehr zur zwangsweisen Weiterbeförderung nach Ruanda ausgewählt werden.

Insbesondere die Idee einer Rückkehr von metrischen zu imperialen Maßen hat ungläubiges Staunen ausgelöst, auch unter konservativen Politikern. "Manchen in unserer Partei gefällt diese Art nostalgischer Politik vielleicht, weil sie hoffen, so die nächsten Wahlen gewinnen zu können", meinte Ellwood dazu. "Aber das ist nicht der Fall." Man brauche eine weit breitere Basis für einen Wahlerfolg. Ein Minister, der lieber ungenannt bleiben wollte, nannte die Idee mit den imperialen Maßen "völlig verdreht".

Die meisten seiner Minister haben Johnson bisher allerdings in Schutz genommen. Außenministerin Liz Truss erklärte, sie stehe "zu 100 Prozent hinterm Premier". Nordirland-Minister Brandon Lewis meinte, er glaube nicht, dass es wirklich zu einer Misstrauens-Abstimmung kommen werde. Bei der Abstimmung selbst müsste, um die Rebellion zu besiegeln, mindestens die Hälfte der Fraktion - also 180 Abgeordnete - für seine Absetzung stimmen.