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Einigung mit Zähneknirschen

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik

Das sechste EU-Strafpaket gegen Russland ist nicht das letzte - und das nächste wird schwieriger.


Schon die ersten fünf Sanktionspakete seien nicht wirklich so einfach zu verhandeln gewesen, wie aufgrund ihrer raschen Umsetzung zu vermuten wäre, wird in Brüssel erzählt. Beim sechsten ging es an die Substanz - und prompt kochte der Streit hoch. Ungarns Premier Viktor Orban zog alle Register, und so mancher aus den Reihen der Staats- und Regierungschefs mag froh darüber gewesen sein. Österreich wäre im Fall von Gaslieferungen aus Russland in derselben Situation wie Ungarn - und einige andere - beim Öl, Kanzler Karl Nehammer zeigte daher entsprechend großes Verständnis für Orbans harten Kurs.

Der EU-Gipfel hat nun wie erwartet eine politische Lösung gefunden, die Klärung der technischen Fragen wurde elegant an den Rat, das Gremium der Regierungen - und über die Bande an die Botschafter - zurückgespielt.

Jede einzelne Sanktion, ganz besonders bei den Energielieferungen, löst eine Kettenreaktion aus. So muss nun unter anderem darauf geachtet werden, dass Ungarn mit raffinierten Produkten aus billigem russischen Öl nicht auch noch wettbewerbsverzerrend in den europäischen Markt drängt. Auf der anderen Seite steht Rotterdam, über dessen Hafen bisher zwei Drittel der Schiffslieferungen abgewickelt wurden. Die Niederlande sind nicht begeistert über das Embargo für Importe per Schiff. Die Griechen und Zyprioten wiederum verwiesen auf einige unangenehme Punkte aus dem Paket, unter anderem auf den Vorschlag, russisches Öl dürfe in Zukunft nicht mehr von europäischen Tankern transportiert werden. Auf die eine oder andere Art hat damit jeder eine Rechnung offen.

Hilfspaket für Ukraine

War es klug von der EU-Kommission, mit einem Embargo-Plan an die Öffentlichkeit zu gehen, lange bevor die Zustimmung dazu klar war? Orban schäumte und zog ordentlich über die Behörde her; Österreich sieht das im Grunde auch so: Kanzler Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg hatten das schon vergangene Woche beklagt. Nun habe man alles coram publico austragen müssen, statt konstruktiv im Stillen zu arbeiten, lautet die Kritik. Die EU stehe nach all der beschworenen Einheit prompt wieder als zerstrittener Haufen da.

In der Kommission wird dies anders gesehen: Ohne die öffentliche Debatte und den Druck wäre ein Öl-Embargo niemals umsetzbar gewesen, ist dort die Meinung. Und ein Diplomat einer anderen Institution zieht gar den Umkehrschluss: Gerade das sei doch ein Zeichen des Miteinanders und einer lebendigen Solidarität - dass in intensiver Debatte eine Lösung für jene Mitgliedsländer gefunden werde, die den einen oder anderen Schritt nicht mitgehen können. Niemand werde zurückgelassen; das sei die EU.

Ob der publikumswirksamen Diskussion um das Embargo gerieten die anderen Themen in den Hintergrund, die kaum weniger wichtig sind. Beschlossen wurde also ein weiteres Hilfspaket, neun Milliarden Euro schwer, zur Unterstützung der Ukraine. Und neben gemeinsamer Verteidigung beziehungsweise gemeinsamem militärischen Beschaffungswesen ist es vor allem die weltweit ins Wanken geratene Ernährungssicherheit, die wieder in den Griff zu bekommen ist. Zweiter Gastredner am Gipfel neben dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj war daher nicht von ungefähr der senegalesische Präsident und Vorsitzende der Afrikanischen Union, Macky Sall.

Nehammer betonte in Brüssel, es brauche sichere Korridore, um Getreide aus der Ukraine ausliefern zu können. Um das zu ermöglichen, sei das gemeinsame Engagement mit den Vereinten Nationen nötig. Rund 20 Millionen Tonnen Getreide liegen in ukrainischen Schwarzmeerhäfen fest Der Seeweg ist infolge des Krieges blockiert.

Klar ist jedenfalls: Das sechste Sanktionspaket wird nicht das letzte gewesen sein, solange der Krieg nicht endet. Öl und Gas sind ein lang- und mittelfristiges Thema, das aber sofortige Negativeffekte auf Europa hat - auch wenn das Embargo auf Öl innerhalb von sechs Monaten und jenes auf raffinierte Produkte innerhalb von acht Monaten in Kraft tritt. Die nächsten Pakete müssen mehr Treffsicherheit zeigen, direkten Einfluss auf die Kriegstreiber haben und dürfen nicht zu elementaren Bumerangeffekten führen. Sonst bricht die öffentliche Zustimmung weg.