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Ein letzter Griff nach der Macht

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Der Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon will im Zuge der heutigen französischen Parlamentswahlen Premierminister werden.


Französischer Präsident wird er wohl nicht mehr werden. Dreimal hintereinander hat Jean-Luc Melenchon es versucht, zuletzt im April, als er mit einem Ergebnis von 22 Prozent nur knapp die Stichwahl verpasste.

Seitdem trat der 70-jährige Linke in seinen wohl letzten politischen Kampf ein: Er will das Land als Premierminister regieren. Dafür müsste das Parteienbündnis, das seine Bewegung La France Insoumise ("Das unbeugsame Frankreich"), kurz LFI, mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten geschlossen hat, bei den Parlamentswahlen an den kommenden beiden Sonntagen gewinnen.

Umfragen sagen dieser Allianz namens Nupes ("Neue soziale und ökologische Volks-Union") zwischen 195 und 230 der 577 Sitze in der Nationalversammlung voraus. Um den Regierungschef zu stellen, wäre eine Mehrheit notwendig. Eine Überraschung ist laut Meinungsforschern allerdings nicht ausgeschlossen. Und Melenchon wird nicht müde, diese in den Bereich des Möglichen zu stellen. "Unsere Chancen stehen ziemlich gut", ruft er bei Wahlkampfveranstaltungen, die er derzeit im ganzen Land besucht.

Idol für viele Junge

Vor allem viele jüngere Menschen sehen in dem linken Volkstribun ein Idol. In seinem politischen Kampf gegen das Patriarchat und für das "kleine Volk" setzt er auf soziale Medien. Sein Kanal auf YouTube zählt 770.000 Abonnenten, seine Partei betreibt ein eigenes Online-Magazin namens "Le Media", "das Medium". Wenn Melenchon das Ende der "präsidentiellen Monarchie" verspricht, klingt er, als sei er einer der Chef-Revolutionäre aus der Zeit von Juli 1789. Zugleich führt er seine Bewegung LFI, die er ganz auf sich selbst zugeschnitten hat, autoritär.

Sie ging 2016 aus der 2008 von ihm gegründeten französischen Linkspartei hervor. Nach dem Vorbild seines deutschen Freundes Oskar Lafontaine, der sich von der SPD abgespalten und die Linkspartei mitgegründet hatte, verließ Melenchon die Sozialisten nach über 30 Jahren Mitgliedschaft. Dass sie nun als Juniorpartner seiner Nupes-Allianz beitrat, ist ein später Triumph. Was sie seit jeher getrennt hatte, waren seine Ablehnung sozialdemokratischer Reformen und die Haltung zur EU: Vor dem Referendum über einen EU-Verfassungsvertrag 2005 warb Melenchon entgegen der sozialistischen Parteilinie für eine Ablehnung, zu der es dann auch kam.

In ihrem aktuellen Wahlprogramm fordert Nupes "europäischen Ungehorsam" überwiegend in der Fiskalpolitik. Gerade in Deutschland, das laut Melenchon allen anderen EU-Ländern sein unsoziales Sparmodell aufzwinge, hat der Autor des Pamphlets "Der Bismarckhering - das deutsche Gift" sein Feindbild gefunden.

Austritt aus der Nato

Anders als noch vor fünf Jahren fordert er aber nicht mehr für den Austritt Frankreichs aus der EU, wohl aber noch aus der Nato. Bis zu Russlands Überfall auf die Ukraine hat er Präsident Wladimir Putin gegen eine "imperialistisch auftretende USA" verteidigt. Auch Kritik an den ehemaligen Präsidenten Kubas und Venezuelas, Fidel Castro und Hugo Chavez, ließ er nie zu.

Geboren ist "Meluche", wie ihn Medien in Frankreich salopp nennen, im marokkanischen Tanger, das damals zu einer von mehreren Ländern verwalteten "internationalisierten Zone" gehörte, als Sohn einer Grundschullehrerin und eines Mitarbeiters des Fernmelde-Dienstes. Beide Eltern hatten spanische Wurzeln. Mit elf Jahren kam er nach deren Trennung mit seiner Mutter nach Frankreich, wo er sich im Mai 1968 als Gymnasiast an den Studentenrevolten beteiligte. Während seines Studiums der Philosophie und Literaturwissenschaft engagierte sich Melenchon in der trotzkistischen Studentenorganisation OCI, deren Büro in Besancon er leitete. Nach diversen Jobs unter anderem als Journalist und Lehrer begann er seine politische Karriere zunächst als lokaler Abgeordneter, wurde später Senator, beigeordneter Minister für Berufsbildung unter dem sozialistischen Regierungschef Lionel Jospin, saß in der Nationalversammlung und im EU-Parlament.

Bekannt für Wutausbrüche

Der charismatische Politiker, dessen einzige Tochter sich ebenfalls in seiner Partei engagiert, verdankt seine Bekanntheit unter anderem seinen regelmäßigen Wutausbrüchen. Vor der Präsidentschaftswahl kam es zu heftigen TV-Debatten mit dem rechtsextremen Kandidaten Eric Zemmour, bei denen beide einander hemmungslos beschimpften. 2018 stellte sich Melenchon mit den Worten "Die Republik, das bin ich!" Finanzermittlern entgegen, die eine Untersuchung in seiner Parteizentrale durchführen wollten. Mit der Presse steht er auf Kriegsfuß, wurde vor einigen Monaten nach Beleidigungen eines Journalisten wegen Diffamierung verurteilt. Derzeit herrscht große Aufregung, weil er nach einem Zwischenfall in Paris, bei dem Polizisten eine junge Frau während einer Verkehrskontrolle erschossen, sagte: "Die Polizei tötet."

Um einen Abgeordnetensitz in der Nationalversammlung bewirbt sich Melenchon bei den anstehenden Parlamentswahlen nicht mehr. Sollte sein Ziel scheitern, Regierungschef zu werden, könnte er sich in den politischen Ruhestand verabschieden. Es wäre keine Rente mit 60, wie er selbst sie bewirbt. Aber für einen Jean-Luc Melenchon gelten eben andere Regeln.

48,7 Millionen Franzosen dürfen bei der Parlamentswahl, die um 8 Uhr begonnen hat, ihre Stimme abgeben. Es geht um 577 Sitze in der Nationalversammlung. Bei der Wahlbeteiligung zeichnete sich bereits im Vorfeld ein Tiefstand ab, weniger als jeder Zweite will laut Umfragen wählen. In einigen französischen Überseegebieten hat die Wahl wegen der Zeitverschiebung bereits am Samstag begonnen. Die letzten Wahllokale schließen um 19 Uhr, ab 20 Uhr sind die ersten Hochrechnungen zu erwarten. Die zweite Runde der Parlamentswahl ist am Sonntag in einer Woche.