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Ein Votum über Macrons Machtumfang

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik
© reuters / Ludovic Marin

Die Partei des französischen Präsidenten könnte bei der Parlamentswahl die absolute Mehrheit einbüßen, das Regieren würde dann komplizierter.


Frankreich ist bekannt als Land, dessen Verfassung dem Präsidenten viel Macht einräumt. Er ist Chef der Armee, bestimmt die großen Linien der Außen- und der Innenpolitik. Letzteres gilt allerdings nur, wenn seine Partei in der Nationalversammlung über die absolute Mehrheit von mindestens 289 der 577 Sitze verfügt. Vor fünf Jahren gelang dies Präsident Emmanuel Macrons Partei La Republique en marche (LREM) quasi aus dem Stand, doch eine Wiederholung des Erfolgs ist ungewiss. Bei der zweiten Runde der Parlamentswahlen am Sonntag dürfte sein Lager zwar eine Mehrheit erringen, aber nicht unbedingt die absolute. Wird diese verfehlt, wäre Macron bei jedem einzelnen Gesetz nicht nur auf seine Bündnispartner, vor allem die neue Partei "Horizonte" seines ambitionierten Ex-Premierministers Edouard Philippe, angewiesen. Sondern auch auf Stimmen der Opposition - insbesondere der konservativen Republikaner, die auch den Senat als zweite Parlamentskammer dominieren.

Historisch niedrige Wahlbeteiligung

Beim ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag gelang der Allianz "Ensemble" ("Gemeinsam"), zu der sich LREM mit anderen Mitte-rechts-Parteien zusammenschloss, nur ein hauchdünner Vorsprung vor dem linken Bündnis Nupes ("Neue soziale und ökologische Volks-Union"). Diesem gehören die Linkspartei La France Insoumise ("Das unbeugsame Frankreich"), die Sozialisten, Kommunisten und Grünen an. Demoskopen zufolge dürfte der rot-grüne Zusammenschluss zwischen 150 und 200 Wahlkreise erobern - zu wenig, um den Regierungschef zu stellen. Trotzdem verfolgt der Linkspopulist Jean-Luc Melenchon dieses Ziel, der die aktuelle Premierministerin Elisabeth Borne bereits unbescheiden als "meine Vorgängerin" bezeichnete. Zuletzt versuchten er und sein Lager, Stimmung gegen Macron zu machen, um Wähler zu mobilisieren. Die Beteiligung in der ersten Runde war mit knapp 48 Prozent so niedrig wie nie. So behauptete Melenchon, Macron plane heimlich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer - wie sonst könne er die notwendigen 80 Milliarden Euro pro Jahr einsparen, um die Neuverschuldung den EU-Regeln entsprechend bis 2027 unter drei Prozent zu drücken? "Melenchon verbreitet Lügen über unser Programm", konterte Premierministerin Borne.

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Macron selbst appellierte - kurz bevor er sich am Donnerstag in der Ukraine für den EU-Kandidatenstatus des Landes aussprach - an die Wähler, dem Land eine "solide Mehrheit" zu geben. "Nichts wäre schlimmer, als der weltweiten Unordnung eine französische Unordnung hinzuzufügen", sagte der Staatschef. Seine Partei hatte sich schwergetan, eine klare Wahlempfehlung für jene Bezirke auszugeben, in denen Ensemble schon ausgeschieden ist und Kandidaten der Nupes und des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) aufeinandertreffen. Erst nach einigem Hin und Her verkündete unter anderem Premierministerin Borne, es dürfe "keine Stimme an die extreme Rechte" gehen.

Erste Rechtsaußen-Fraktion seit 1986?

Tatsächlich kann die Partei von Marine Le Pen, die gute Wahlchancen in ihrer nordfranzösischen Hochburg Henin-Beaumont hat, deutliche Zuwächse verzeichnen. Der RN qualifizierte sich in 208 der 577 Wahlkreise - somit in fast doppelt so vielen wie 2017. Da sie mit wenigen Stimmenübertragungen von anderen, bereits ausgeschiedener Parteien rechnen kann, sagen ihr Demoskopen 20 bis 45 Sitze in der Nationalversammlung vorher. Damit könnte sie eine eigene Fraktion bilden, für die mindestens 15 Abgeordnete nötig sind. Über eine solche verfügte eine Rechtsaußen-Partei seit 1986 nicht mehr.