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Macron, der eingeengte Präsident

Von Klaus Huhold

Politik

Nach Verlust der absoluten Mehrheit hat Präsident verschiedene Optionen - die alle unattraktiv für ihn sind.


Rachel Keke zog für ihre Kolleginnen in den Kampf. Viele von ihnen hatten Schmerzen, im Rücken, in den Knien oder in den Handgelenken. Dann traten die Putzfrauen, die in einem Ibis-Hotel am Stadtrand von Paris 30 bis 40 Zimmer am Tag reinigen mussten, in den Streik. Die aus Cote d’Ivoire stammende Keke wurde die inoffizielle Sprecherin der Reinigungskräfte - und eine Medienberühmtheit.

Mittlerweile müssen die Hotelbediensteten nicht mehr so viele Zimmer putzen und bekommen fix ihre Überstunden bezahlt. Und Keke ist in die Politik gewechselt und nun gar in die französische Volksvertretung eingezogen, sie hat ihren Sitz bei der zweiten Runde der Parlamentswahl am Sonntag errungen. "Danke an Frankreich, das Vertrauen in mich gesetzt hat", verkündete die 47-Jährige nach ihrem Erfolg und tanzte gemeinsam mit ihren euphorisierten Anhängern.

Während des Wahlkampfes hatte Keke dazu aufgerufen, "uns Menschen aus den Problemvierteln mit den unverzichtbaren Jobs" in die Nationalversammlung zu wählen. In ihrem Wahlkreis in Val-de-Marne im Südosten von Paris trat Keke, die für das Linksbündnis Nupes ins Rennen zog, gegen Roxana Marcineanu an, die unter Emmanuel Macron Sportministerin war. Keke setzte sich mit knappem Vorsprung durch.

Koalitionen nicht eingeplant

Der Erfolg von Keke ist durchaus bezeichnend für die Wahl. Aus dieser geht das vom EU-Skeptiker Jean-Luc Melenchon angeführte Linksbündnis gestärkt hervor. Nupes ist nun mit 131 Sitzen zweitstärkste Kraft im Parlament. Die Gefolgsleute von Macron und seine Verbündeten wiederum haben massiv Mandate eingebüßt und halten jetzt noch 245.

Damit errang das Macron-Bündnis "Ensemble!" zwar noch immer die Mehrheit, trotzdem wird dieses Ergebnis von Kommentatoren in Frankreich als Niederlage, teilweise gar als Debakel für den Präsidenten bewertet. Das ist den Eigenheiten des französischen Systems geschuldet.

Mit seinem Mehrheitswahlrecht ist es darauf ausgelegt, klare Verhältnisse zu schaffen. Die Parlamentswahl folgt dabei kurz auf die Präsidentenwahl und in den vergangenen 20 Jahren haben die Franzosen die Gefolgschaft des Präsidenten immer mit einer absoluten Mehrheit ausgestattet, um dem Staatsoberhaupt ein Durchregieren zu ermöglichen. Doch Maron wurde dies nun verweigert - hinzu kommt auch noch mit 46,2 Prozent eine extrem niedrige Wahlbeteiligung.

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Deshalb muss sich "Ensemble!" nun Partner suchen, und das wird einmal ganz grundsätzlich nicht so einfach werden. "Das Problem ist, dass es in Frankreich keine Tradition der Koalitionsbildung gibt", sagt Frank Baasner, Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, der "Wiener Zeitung". Dementsprechend hoch sind bei vielen Akteuren die Barrieren für eine Kompromissbildung.

Was die Angelegenheit für Macron noch verkompliziert: Es bliebt ihm eigentlich nur ein Partner, nämlich die Republikaner. Die stehen "Ensemble!" teils nahe, waren doch einige Macron-Gefolgsleute wie etwa Finanzminister Bruno Le Maire früher selbst Republikaner. Allerdings "wollen die Republikaner in einer Koalition selbständig und wahrnehmbar bleiben", sagt Baasner. Deshalb werden sie hart um Ministerämter und eine eigene inhaltliche Handschrift, etwa durch eine härtere Migrationspolitik, kämpfen. Macron bliebe zudem seine restliche Amtszeit abhängig von ihnen. Die Republikaner treiben auch schon den Preis in die Höhe, indem sie verkünden, dass sie sich in der Opposition sehen. Seine Partei werde "weder einen Pakt noch eine Koalition" eingehen, sagte Parteichef Christian Jacob nach seinem Gespräch mit Macron am Dienstag.

Die anderen Parteien sind keine Koalitionspartner für Macron. Das Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen hat mit 89 Sitzen seine Mandate mehr als verzehnfacht, sodass Le Pen den Parteivorsitz abgab, um nun die Fraktion zu führen. Doch ein Bündnis mit der extremen Rechten hat Macron ausgeschlossen.

Aber auch dem Linkspopulisten Melenchon steht Macron fern. Das zeigt sich etwa bei der umstrittenen Pensionsreform: Während Macron die finanziellen Zuschüsse des Staates durch eine Anhebung des Pensionsalters verringern will, fordert Melenchon eine Senkung des Antrittsalters von 62 auf 60 Jahre und eine Erhöhung der Pensionen.

Allerdings prallen im aus mehreren Parteien gebildeten Linksbündnis verschiedene Positionen aufeinander. So sind die Grünen proeuropäischer, während die Melenchon-Partei "Das unbeugsame Frankreich" immer wieder die EU scharf angreift und Übereinkünfte wie den Stabilitätspakt nicht akzeptieren will.

Macron könnte nun darauf spekulieren, dass er Abgeordnete aus dem Linksbündnis für einzelne Vorhaben für sich gewinnen kann. Das müsste er versuchen, wenn sich "Ensemble!" dafür entscheidet, eine Minderheitsregierung zu bilden, die sich wechselnde Mehrheiten sucht. So eine Konstellation hat es aber an sich, dass sie den politischen Prozess verlangsamt und große Reformen fast unmöglich macht.

Weniger Energie für Europa

Darüber hinaus könnten es die neuen Mehrheitsverhältnisse mit sich bringen, dass sich das Parlament ständig selbst blockiert. Macron könnte in so einem Fall Neuwahlen ausrufen - als Präsident hätte er das Recht dazu. Das wäre aber hochriskant, weil keineswegs gesagt ist, dass er dann eine absolute Mehrheit erhält.

Somit ist keine der Optionen, die Macron nach Verlust der absoluten Mehrheit hat, attraktiv für ihn. Klar ist, dass das Parlament künftig eine gewichtigere Rolle einnehmen wird - manche Beobachter in Frankreich sehen darin eine notwendige Aufwertung, andere fürchten deshalb Stillstand.

Keine Kursänderung ist aber in der Europapolitik zu erwarten. Denn in der Außenpolitik besitzt der Präsident große Vollmachten, sodass er sie weitgehend bestimmen kann. Allerdings könnte es sein, dass Macron, der die EU stärken und reformieren wollte, nun weniger Energie für Europa aufbringen wird können. Denn bei den neuen Mehrheitsverhältnissen werde "die Innenpolitik seine erste Baustelle sein", prognostiziert Baasner.