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"Milliarden für Ukraine muss man sich leisten können"

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik

Der Co-Vorsitzende der europäischen Grünen, Thomas Waitz, über die Ukraine-Krise, Energieabhängigkeit und den Green Deal.


Als Co-Vorsitzender der europäischen Grünen nimmt der österreichische EU-Parlaments-Abgeordnete Thomas Waitz eine wichtige Rolle in der Partei ein. Wohin die Grünen Europa steuern und wie sie die Energiewende gestalten wollen und warum sich ihre Regierungsarbeit in Österreich und Deutschland unterscheidet, darüber sprach Waitz mit der "Wiener Zeitung".

"Wiener Zeitung": Sie sind zum zweiten Mal Co-Vorsitzender der europäischen Grünen geworden. In zwei Jahren sind wieder EU-Wahlen. Wie schwer ist der Job?Thomas Waitz: Das ist mein zweiter Fulltimejob. Wir haben über 40 Mitgliedsparteien in Europa, auch außerhalb der EU, sogar in der Ukraine und Georgien. Nachdem die Grünen bei der letzten Europawahl in zentral- und nordeuropäischen Ländern sehr gut abgeschnitten haben, haben wir gefeiert. Aber die Realität ist: Es fehlt im Osten, im Süden. Das war schon bisher meine Aufgabe, grüne, progressive Mitte-Links-Parteien zu unterstützen und ihnen Relevanz zu verschaffen.

Spätestens seit dem Green Deal hat man aber den Eindruck, es sei ohnehin schon alles grün gefärbt in Europa. Ist da auch viel nur Fassade? Oder gibt es echte Fortschritte?

Es ist vor allem der Klimabewegung ab 2018 gelungen, das Thema breit in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Heute kann es sich faktisch keine Partei mehr leisten, ein Wahlprogramm ohne grüne Inhalte aufzulegen. Es gibt das allgemeine Verständnis, dass der die Klimakrise uns alle trifft. Der Green Deal ist ein Fortschritt. Die Frage ist nun, werden die Maßnahmen dem gerecht, was wir für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels tun müssen. Die Antwort: Nein. Es ist nicht genug. Auf der anderen Seite hat Europa nun das ambitionierteste Klimagesetz weltweit. Licht und Schatten sind nah beieinander. Klar, es ist auch viel Fassade dabei, jedes Unternehmen will sich grün färben. Das weist aber auch darauf hin, dass das Thema in der Bevölkerung positiv aufgenommen wird.

Aber muss man wegen Pandemie und Krieg nicht auch hohe Kompromissbereitschaft zeigen? Der Druck aus der Wirtschaft ist groß, siehe Sanktionen.

Regierungspolitik heißt, pragmatische Lösungen zu finden und legitime Interessen der Gesellschaft hereinzunehmen, das ist anders als in der Opposition. Die Interessen der Wirtschaft sind von Bedeutung, und wenn wir keine Steuereinnahmen haben, fehlt uns das auch.

Ganz konkret: Streitfall Öl- und Gasembargo . . .

Wenn man hinschaut, welch menschliches Leid gerade in der Ukraine passiert, dann kommt sofort der Impuls: Wir schicken keinen einzigen Euro mehr zu Putin. Aber die Stärke der EU ist die Wirtschaft und die Frage, wie sehr wir uns selber schädigen, ist relevant. Es gehen derzeit ja auch Milliarden in die Ukraine, das muss man sich leisten können. Drehen wir den Gashahn ab und haben nächsten Monat fünf Prozent mehr Arbeitslose und eine Rezession, dann verliere ich die Unterstützung der eigenen Bevölkerung. Meine Forderung an die Regierungen ist, dass sie alles Menschenmögliche tun, um den Verbrauch fossiler Energie vor allem aus Russland maximal zu reduzieren. Inzwischen ist allen klar, dass die Energieabhängigkeit ein strategisches Sicherheitsproblem ist. Da ist es schon kein Unterschied zwischen dem einen oder anderen autoritären Regime.

Österreich ist beim Gas ein Beispielfall für Abhängigkeit. Muss man da noch viel genauer hinschauen, wie es dazu kam?

Ja. 2008 hätte man schon sehen können, welcher Art die russische Außenpolitik ist. Spätestens seit 2014 hätte uns klar sein müssen, dass Russland vor unabhängigen Nachbarstaaten nicht Halt macht. Spätestens damals wäre ein Richtungswechsel in der OMV und in der österreichischen Energiepolitik angebracht gewesen. Nach 2014 noch die Abhängigkeit zu stärken, ohne Not - da muss man schon Fragen stellen.

Der Krieg gegen die Ukraine hat auch Auswirkungen auf die Innenpolitik. Wenn man nun Österreich und Deutschland vergleicht, wo in beiden Fällen Grüne in der Regierung sind, ergibt sich ein höchst unterschiedliches Bild.

In Deutschland haben wir eine Koalition mit der Sozialdemokratie, wo es in vielen Bereichen - etwa Soziales, Menschenrechte - Gemeinsames gibt und deshalb weniger interne Spannungen. In Österreich sind wir in einer Koalition, die wir aus staatspolitischen Gründen eingegangen sind und nicht aus besonderer politischer Nähe. Uns war bewusst, dass das schwierig wird.

Wenn Sie aus Brüssel nach Wien schauen: Welche Kontur hat Österreich nach dem Wechsel von Sebastian Kurz zu Karl Nehammer?

Unter Kurz haben wir dem Image entsprochen, dass selbst konservative Parteien nach rechts eine Offenheit haben können. Wir sind jetzt aus den Schlagzeilen draußen, Nehammer ist kein Aufreger, sondern ein Sachpolitiker, er ist am Gespräch interessiert, die Zusammenarbeit funktioniert besser.

Aber es muss doch schwer sein mit einem Partner, der mit Themen wie Migration oder Einbürgerung so anders umgeht.

Das ist schwierig für uns. Es war uns aber vom ersten Tag an bewusst, dass wir es mit einer ÖVP zu tun haben, die sich von der klaren proeuropäischen Linie entfernt. Der Anti-Ausländerkurs wird ganz dezidiert gefahren, um Stimmen von der FPÖ zu gewinnen. Das ist eine strategische Haltung der ÖVP, das ist zu bedauern. Wir haben beschlossen, das zu einem gewissen Teil in Kauf zu nehmen. In konkreten Fragen haben wir durchaus Einfluss auf eine gewisse Menschlichkeit. Es ist eine Abwägungsfrage.

Erwarten Sie, dass die Ukraine beim nun anstehenden Gipfel den Kandidatenstatus erhält?

Das ist eine schwierige Frage. Die EU treibt Beitrittsverhandlungen auf einer konkreten Basis voran - wenn wir den treu bleiben, brauchen wir nicht an Ukraine und Moldau zu denken. Beide sind noch weit nicht dort, aber auf einem guten Weg. Aber schon bei der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien waren die Bedingungen nicht erfüllt, es gab einen geostrategischen Grund. Aus heutiger Sicht war das eine kluge Entscheidung, Bulgarien etwa war ein Alliierter der Sowjetunion und steht jetzt zu 100 Prozent auf Seite des Westens. Es hat uns einiges an Schmerzen verursacht in Fragen der Korruption oder Rechtsstaatlichkeit, daran mussten wir die letzten Jahre arbeiten. Wir zahlen einen Preis dafür. Aber bei der Ukraine geht es ja nur um den Kandidatenstatus, nicht um den Verhandlungsbeginn, das wäre auch für Moldau ausgeschlossen. Aber man muss ihnen eine Perspektive geben, das ist ein wichtiges politisches Element auch für all die Menschen dort, die für Demokratie und Meinungsfreiheit - also unsere Werte - ihr Leben riskieren. Eines muss aber klar sein: das gilt dann auch für Bosnien, das in einer sehr prekären Lage ist. Da sollten wir nicht warten, bis die ersten Gewehrkugel fliegen. Russland hat dort massiv den Fuß in der Tür.

Die Grünen in Europa sind in acht Regierungen vertreten. Wo liegen die größten Herausforderungen?

An der Dekarbonisierung der Wirtschaft führt kein Weg vorbei. Die größte Herausforderung wird sein, das so zu gestalten, dass die sozialen Folgen so eingehegt werden, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht den Preis für die verfehlte Politik der vergangenen Jahre zahlen müssen. Vor allem nicht die, die ohnehin schon wenig haben. Ein Beispiel: Wir können gerne darüber reden, wie wir unsere Fuhrparks auf E-Mobile umstellen. Aber eine alleinerziehende Mutter am Land, die zu ihrem Halbtagsjob kein öffentliches Verkehrsmittel hat, wird auch ein Auto brauchen - und das wird kein Tesla sein. Das muss uns bewusst sein, wir brauchen Lösungen. Wenn ich mich im Winter entscheiden muss, ob ich essen oder einheizen kann, dann haben wir ein eklatantes Problem. Das bedenken die Grünen mit. Die EU muss sich an die Speerspitze der Welt stellen, da heißt es Demokratie gegen Autokratie. Wir müssen global zusammenarbeiten.