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Wiederaufbau mit Bedingungen

Politik
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal (l.) tauscht sich vor der malerischen Kulisse des Luganersees mit Svenja Schulze, der deutschen Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, aus.
© reuters / Wiegmann

Die Ukraine sagt zu, im Gegenzug für finanzielle Unterstützung die Korruption entschlossen zu bekämpfen.


In Lyssytschansk weht seit dem Wochenende die russische Flagge, viereinhalb Monate nach dem Überfall auf die Ukraine hat die Regierung in Moskau damit zumindest eines ihrer Kriegsziele erreicht. Dass die vollständige Einnahme des Oblast Luhansk für Präsident Wladimir Putin ein wichtiger Propagandaerfolg ist, liegt auf der Hand, die militärstrategische Bedeutung der jüngsten Eroberungen im Donbass ist allerdings umstritten. Denn nicht wenige westliche Militärexperten gehen davon aus, dass die russische Armee, die fast zweieinhalb Monate benötigte, um Lyssytschansk und die Schwesterstadt Sjewjerodonezk sturmreif zu schießen, in den nächsten Wochen eher langsamer denn schneller vorankommen wird. Nach den verlustreichen Schlachten sind auch viele russische Einheiten ohne operative Pause und Reorganisation nicht mehr einsatzfähig, die westlichen Waffenlieferungen lassen die russische Überlegenheit bei Artillerie und Mehrfach-Raketenwerfern zumindest ein Stück weit schrumpfen.

Deutlich effektiver als die militärische Offensive läuft dagegen seit Monaten Putins Kriegs gegen die ukrainische Wirtschaft. Laut einer Analyse des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) wurden in jenen Regionen der Ukraine, in denen die Wirtschaft nun wegen des Krieges zum Erliegen gekommen ist, 53 Prozent des nationalen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet und 43 Prozent aller Industriegüter produziert. Über die nun blockierten Schwarzmeerhäfen wurden mehr als 50 Prozent der Exporte abgewickelt.

Beim WIIW rechnet man daher damit, dass die Ukraine in diesem Jahr rund 40 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts einbüßen wird. Gleichzeitig wird auch das Loch im ukrainischen Staatsbudget immer größer. Laut Finanzminister Sergej Marchenko klafft zwischen Ausgaben und Einnahmen trotz der bisher kaum eingebrochenen Lohnsteuererträge jeden Monat eine Lücke von 5 Milliarden Dollar, die sich derzeit nur durch kurzfristige finanzielle Hilfe aus dem Ausland mehr schlecht als recht stopfen lässt.

Umso wichtiger ist für die Ukraine daher eine langfristige Perspektive, die nicht nur den aktuellen Finanzbedarf berücksichtigt, sondern auch bereits den Wiederaufbau des teils schwer zerstörten Landes beinhaltet. Es sei die "gemeinsame Aufgabe der gesamten demokratischen Welt", die Ukraine wieder aufzubauen, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Eröffnung einer zweitägigen Ukraine-Konferenz im schweizerischen Lugano. Benötigt werden dafür laut Schätzungen der Regierung in Kiew rund 750 Milliarden Dollar.

Für den Wiederaufbau herangezogen werden sollen nach Vorstellung des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal unter anderem die im Ausland eingefrorenen Vermögenswerte des russischen Staates und von Oligarchen. Da es aber wegen der rechtlichen Lage nicht so einfach sein dürfte, an diese 300 bis 500 Milliarden Dollar heranzukommen, wird es auch stark auf die Unterstützung der westlichen Staatengemeinschaft ankommen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) will etwa ein ähnliches Hilfsprogramm wie schon in der Corona-Krise auflegen, mit dem von EU-Ländern und aus dem EU-Haushalt zunächst 20 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen, Darlehen und Garantien bereitgestellt werden sollen.

Klima und Günstlinge

In den Schweizer Bergen wurde allerdings nicht nur über konkrete Finanzzusagen gesprochen. Fast ebenso breiten Raum nahm in Lugano die Debatte über die Rahmenbedingungen des Wiederaufbaus ein. So haben die Regierung in Kiew und die Vertreter von Geberländern und internationalen Organisationen in ihrem Abschlussdokument sieben Prinzipien als zentrale Richtschnur für das gemeinsame Handeln festgehalten. In der "Luganer Erklärung" findet sich damit nicht nur die Verpflichtung auf einen demokratischen Prozess und der Aufbau einer digitalisierte Verwaltung wieder, sondern auch die Transformation zu einer CO2-freien Gesellschaft und der entschlossene Kampf gegen Günstlingswirtschaft. "Die Rechtsstaatlichkeit muss systematisch gestärkt und die Korruption ausgemerzt werden", heißt es in dem Dokument wörtlich. Im Korruptionsindex von Transparency International ist die Ukraine vor Krieg trotz großer Reformanstrengungen auf Platz 122 von 180 gewesen. (rs)